piwik no script img

Köpfe wie Schäufelschen

In Frankfurt am Main zu besichtigen: F. W. Bernsteins Ausstellung „Hesseköpp“

Goethe hat sich sein schwarz-rotes Fußballtrikot angezogen und den Eintracht-Schal um den Hals gebunden. Seine Haare sind in Aufruhr. Kämpferisch reckt der Dichterfürst die Faust gen Himmel und rollt mit den Augen: „Im Waldstadion hör ich Getümmel / Hier ist des Volkes wahrer Himmel / Zufrieden jauchzet groß und klein / Hier bin ich Fan, hier darf ichs sein.“ Als Torwart macht Goethe allerdings nicht so eine gute Figur. Während er in der einen Ecke klemmt und der Ball in die andere freie Ecke rollt, muss er zugeben: „Da steh ich nun in meinem Tor / und bin so klug als wie zuvor.“ Wenigstens mit dem Reimen klappt es noch.

So sieht es aus, wenn der große Zeichner Fritz Weigle, bekannt als F.W. Bernstein, sich mehr oder weniger große „Hesseköpp“ vornimmt. Rund 100 meisterhafte Porträtzeichnungen sind derzeit in der Caricatura-Abteilung des Historischen Museums in Frankfurt am Main zu sehen. Von Adorno über Roland Koch bis zum „unbekannten Unterhessen“ reicht das Spektrum der Personen. Doch F. W. Bernstein gibt sich nicht mit der Abbildung der jeweiligen Gesichter zufrieden, sondern zeigt dem Betrachter etwas vom Wesen der Personen.

Fußballgott Bernd Hölzenbein zeichnet er als Engel mit rasengrünen Flügeln, der vom Himmel herab mit seinen Engelsfüßen den Ball ins Spielfeld tritt. Auf einem anderen Bild grinst Rudi Völler dem Betrachter wie eine Katze mit Riesenschnurrbart entgegen.

Grau, auf einen Sockel aufgebockt und steinern glotzt dagegen der Hessische Ministerpräsident Roland Koch ins Historische Museum. Professor Joschka Fischer ist unter F. W. Bernsteins Zeichnerhand zum Vampir mutiert. Mit spitzen Ohren und Flügeln, das Gesicht zu einer blinzelnden Mausvisage zusammengezogen, posiert er doch immer noch ganz staatsmännisch.

Auch Frankfurts Oberbürgermeisterin „Petra Blau/Roth“ darf nicht fehlen. Mit seniorinnenblauem gefestigtem Haar und Perlenkette starrt sie mit stahlblauen Augen ins blaue Weite. Was da wohl kommen mag?

Cohn-Bendit vielleicht. Der hängt nebenan. Ganz verwackelt, verschwommen verzerrt. Wie ein Schnappschuss von jemandem, der sich zu schnell bewegt. Wofür stand der noch mal, was will der jetzt? Nicht herauszubekommen. Nur Farben und Linien und irgendwo zwei flackernde Augen, Cohn-Bendit auf Speed. Es sind eben nicht nur angenehme Personen, die „Hesseköpp“. Josef Ackermann von dieser Frankfurter Bank ist auch dabei. Wulstige Lippen, rosa Giergesicht. Schweinehaft ist er von Bernstein gezeichnet. „Irgend so ein Banker“ steht über dem Bild. Mehr will man auch gar nicht wissen.

Kein Wunder, dass Fledermaus Adorno mit wehenden Rockschößen und großen Augen hinter noch größeren Brillengläsern sorgenvoll über den Frankfurter Hochhäusern schwebt. Unten in dieser merkwürdigen hessischen Stadt haben sie ihm ein Denkmal gesetzt. Seinen Schreibtisch in einem Glaskasten auf einen Platz gestellt. Was für eine Idee. Findet offenbar auch F. W. Bernstein und macht sich mit einem anderen Ausstellungsstück darüber lustig: An den leeren Denkmal-Schreibtisch zeichnet er Adorno wieder hin und fasst das Ganze in ein halbrundes Glas ein. Ein Adorno-Barometer. Darunter steht in Postkartenlyrik: „An diesem schönen Platze hab ich an Dich gedacht / und habe Dir zur Freude dies Bildchen mitgebracht“.

Zu sehen sind auch die gestorbenen Zeichnerfreunde des Altmeisters F. W. Bernstein: Bernd Pfarr, Chlodwig Poth, Robert Gernhardt und F. K. Waechter. Manche Gesichter, mit weißer Kreide auf schwarzem Grund gezeichnet, wirken wie Totenköpfe.

Viele Werke der Begründer der „Neuen Frankfurter Schule“ kommen bald ins Museum für Komische Kunst, das gerade als neue Abteilung des Historischen Museums in Frankfurt entsteht. Achim Frenz, Leiter der Caricatura, muss dafür nicht nur tausende Zeichnungen sichten, sondern sich auch mit der Bürokratie herumschlagen.

Im Sommer 2008 soll es so weit sein. Wie das Museum aussehen könnte, hat F. W. Bernstein schon mal ironisch vorweggezeichnet: ein Portal mit weißen Säulen, darüber groß der Schriftzug „Caricatura“, halb verdeckt durch den Kulturdezernenten, und oben auf dem Giebel tanzt der berühmte Kritiker-Elch.

MATTHIAS THIEME

„Hesseköpp. Porträts von F. W. Bernstein“. Caricatura im Historischen Museum, Saalgasse 19, Frankfurt am Main. Bis 10. Juni, Di.–So. 10–18 Uhr, Mi. 10–21 Uhr, Mo. geschlossen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen