ausgehen und rumstehen: Geile Zeit mit ungepflegtem Bauch
Die Woche begann mit dem großen Wunsch, die täglichen Ausgehverpflichtungen mögen endlich, das heißt am Samstagmorgen, vorbei sein. Kein gutes Omen. Und trotzdem: Ich habe durchgehalten. Wenn’s auch etwas rumpelig war.
Am Dienstagabend beim Konzert von LCD Soundsystem, als Jens Balzer von der Berliner Zeitung in der gelungenen Verbindung aus Wohlstandsbauch und innovativem Taktgefühl angesichts des LCD-Mastermind James Murphy noch einen „Frühling für Bäuche“ aufkeimen sah, schlief ich längst an einem Pfeiler des Postbahnhofs. Richtig wach wurde ich auch erst wieder am Donnerstagabend bei den Klaxons im Lido, unter der künstlichen Sonne der vielen Dayglo-Accessoires, die sich die zumeist jugendlichen BesucherInnen in Armreifen-, Stab- oder Mickymausohrenform mitgebracht hatten.
Die Botschaft des New Rave ist mittlerweile auch hierzulande angekommen: Es geht um Party, Party, Party – gerade auch dann, wenn eine Band auf der Bühne steht. Die wirkt – das ist nicht ihre Schuld, sondern ihre Rolle – wie eine dieser „Torinos mit Ramona“-Bestellkapellen, die einzig zu dem Zweck existieren, feierwütige Abendgesellschaften bis zur Erschöpfung zu unterhalten. Das ist auch bei den Klaxons nicht anders, die an der in Großbritannien mittlerweile schon wieder als Misere beklagten Massenbewegung New Rave unter anderem als Namensstifter nicht ganz unbeteiligt sind. Und außerdem mittlerweile mit einer Nummer zwei in den britischen Albumcharts von der Arbeiterklasse aus den Popstar-Olymp erklettert haben.
Die Arbeiterklasse sieht man ihnen aber trotzdem noch an, und vielleicht ist das auch der Grund, warum sich der bereits erwähnte Popredakteur am Samstag letztlich doch wieder von der Ausrufung des Frühlingstrends „Bauch“ distanziert hat: Der Schmerbauch von Klaxons-Frontmann Jamie Reynolds sieht im Gegensatz zu dem von James Murphy weder gepflegt noch nach einer der besseren Wohngegenden von Manhattan aus, sondern nach dauerhaft schlechtem Futter, aufgebaut auf der Basis alkoholischer Getränke.
Aber warum immer das Ordinäre für das vermeintlich Missratenene geißeln und die angebliche Hochkultur für die größere musikalische Finesse loben, wenn doch das Ordinäre einfach den größeren Spaß verspricht? Warum habe ich beim Set von LCD Soundsystem trotz der ständig ansteigenden Lautstärke und einiger großartiger Percussion-Einlagen vor allem Langeweile empfunden, im Moshpit bei den Klaxons dagegen ein von mir aus dummes und unappetitlich-verschwitztes, aber sehr bestimmtes Hochgefühl?
Die Klaxons mögen mit ihren basslastigen Sirenenhymnen die Funktionsmusik für das große Hedonismus-Revival der Nullerjahre liefern und als Band „noch nicht ganz fertig“ sein, wie man im Musikbusiness-Sprech zu sagen pflegt. Auf der anderen Seite macht sie aber gerade dieses unverkrampfte, antiperfektionistische Do-it-yourself-Konzept, das im Übrigen auch alle anderen spannenden britischen Bands des Moments auszeichnet, zu einem großen Vergnügen, das vor allem auch für Intellektuelle einen nicht zu unterschätzenden Erholungswert birgt.
Allen, die hinter den Klaxons ein one hit wonder wittern und schon jetzt an die „schwierige zweite Platte“ denken, sei gesagt: Um Beständigkeit ist es im Pop noch nie gegangen, es ist – Achtung, jetzt wird’s kurz unschön – die geile Zeit, die zählt.
Das müssten übrigens auch die MacherInnen der VICE-Partys wissen, die schleunigst damit aufhören sollten, die gutgelaunten BesucherInnen ihrer Veranstaltungen mit Kameras und Fotografen zu belästigen.
LORRAINE HAIST
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