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Deutsche werden Chinesen

Boll am Ball: Bei der Tischtennis-Europameisterschaft in Belgrad werden die deutschen Schlägerschwinger ihrer Favoritenrolle im Mannschaftswettbewerb der Frauen und Männer durchaus nicht immer gerecht

BADEN-BADEN taz ■ Die Deutschen sind die Chinesen unter den Europäern. Zumindest im Tischtennis. Das beweisen gerade die Europameisterschaften in Belgrad. Das suggeriert auch die Werbung auf der Brust der hiesigen Pingpong-Artisten: Seit wenigen Tagen prangt auf den Trikots Werbung in chinesischen Schriftzeichen. Der größte deutsche Handelskonzern geht ein Jahr vor den Spielen in Peking in die Offensive. Im Reich der Mitte gilt Timo Boll als Superstar.

Bei der EM gebärden sich die deutschen Tischtennisspieler wie die chinesischen bei Weltmeisterschaften – und sammeln Medaillen. Bronze hatten sowohl die Frauen wie die Männer mit dem Einzug ins Halbfinale schon sicher, wenngleich die Frauen in der Vorschlussrunde gestern an Ungarn mit 1:3 scheiterten.

Nicole Struse, Wu Jiaduo, Kristin Silbereisen und Elke Wosik hatten auch zum Auftakt gegen Serbien Mühe. Nur rund 2.000 Zuschauer in der 20.000 Besucher fassenden Halle sahen die zwei Niederlagen von Wosik gegen nominell schlechtere Kontrahentinnen. Die Spielerin vom TV Busenbach hatte keine Erklärung für ihre Vorstellung: „Ich habe mich nicht wohlgefühlt in der Box. Mir fehlte die Intuition.“ Bundestrainer Jörg Bitzigeio war deshalb „heilfroh, dass wir dieses keineswegs leichte Spiel nach Hause gebracht haben. Wu und Struse haben das getan, was man von ihnen erwarten konnte“.

Die beiden Spitzenspielerinnen aus Kroppach schonten dann im Viertelfinale beim 3:1 über Frankreich seine Nerven. Diesmal kassierte Kristin Silbereisen die einzige Niederlage. Im Halbfinale gegen Ungarn konnte der Ex-Europameister Bronze veredeln. Bitzigeio zeigte sich bereits zuvor zufrieden mit dem Abschneiden. „In den vergangenen Wochen hat sich eine Leistungssteigerung bei den Pro-Tour-Turnieren schon abgezeichnet. Jetzt haben wir endlich bei einem so großen Turnier gezeigt, was wir wirklich können.“

Alles andere als der sechste deutsche Finaleinzug wäre bei den Männern eine Überraschung. In der Runde der letzten vier traf die Auswahl des Deutschen Tischtennis-Bundes gestern auf Polen. Der Außenseiter hatte sensationell Österreich 3:0 ausgeschaltet. Gegen das DTTB-Team sollte Lucjan Blaszczyk mit seinen Kameraden aber nichts ausrichten können – der Spitzenspieler von TTC Zugbrücke Grenzau kassierte in der Bundesliga gegen die deutschen Rivalen fast nur Niederlagen, zudem kam Timo Boll nach längerer Krankheit wieder rechtzeitig in Form.

Der 37-jährige Rekordnationalspieler Jörg Roßkopf, der wie sein Vereinskamerad den finanziell ins Schlingern geratenen TTV Gönnern am Saisonende verlässt, traut dem Weltranglistenvierten drei Goldmedaillen in der „Belgrade Arena“ zu. Außer im Einzel und im Doppel mit dem Düsseldorfer Christian Süß soll im sechsten Anlauf heute im Endspiel (17.30 Uhr/live auf Eurosport) endlich der erste EM-Titel mit der Mannschaft folgen. Dies wäre für Roßkopf, der vor 21 Jahren an seiner ersten EM teilnahm, ein versöhnlicher Abschluss bei seinen letzten kontinentalen Titelkämpfen.

Beim 3:0 im Achtelfinale über Frankreich war der Sieg von Dimitrij Ovtcharov bemerkenswert. Der 18-Jährige vom TSV Schwalbe Tündern, der wie Boll nächste Saison zu Borussia Düsseldorf wechselt, blieb auch im vierten Länderspiel ungeschlagen. Das Talent bezwang den Damien Eloi (Weltranglistenplatz 31) mit 3:2. Timo Boll und sein Doppelpartner Süß sorgten für die weiteren Zähler.

HARTMUT METZ

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