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Eitelkeit, Macht und Kochbücher

RUHM Zur Einstimmung auf den Buchpreis: Edward St. Aubyn schreibt eine überdrehte Satire auf den Literaturbetrieb. „Der beste Roman des Jahres“

VON ULRICH RÜDENAUER

Seit 1969 wird in Großbritannien der Booker Prize für den besten Roman des Jahres vergeben, inzwischen finanziert durch die Man Group, ein mächtiges Investmentunternehmen. Bei einem live im Fernsehen übertragenen schicken Abendessen trifft sich die literarische Elite des Königreichs, Irlands und des Commonwealths, um mittels einer gewählten Jury einen Autor auf die Topplätze der Verkaufscharts zu katapultieren. Der Deutsche Buchpreis – die Shortlist wird am 10. September verkündet – ist nach diesem Vorbild geformt.

Klar ist die Leistungsschau absurd. Im „Besten Roman des Jahres“ bringt ausgerechnet der Hauptsponsor des Literaturpreises, der hier nicht Man Booker, sondern Elysia heißt, diese Absurdität auf den Punkt: „Wenn ein Künstler gut ist, kann niemand sonst das tun, was er tut, weshalb alle Arten von Vergleich sinnlos sind. Nur die mittelmäßigen Künstler, die banale Lebensperspektiven in banaler Sprache propagieren, lassen sich wirklich vergleichen, aber meine Frau findet, dass der Preis einen motivierenden Namen braucht, und da wäre ‚Das am wenigsten Mittelmäßige des Mittelmäßigen‘ natürlich nicht so gut.“

Es gibt noch einiges mehr zu lachen in diesem Buch von Edward St. Aubyn, der das bittere Vergnügen hatte, mit zweien seiner vorangegangenen Romane als Favorit auf der Booker-Prize-Shortlist nominiert gewesen zu sein, aber jeweils einem anderen Kandidaten die Krone überlassen zu müssen. Durchaus eine Demütigung. Wie rächt man sich also am Betrieb? Man schreibt eine Literaturbetriebssatire.

Querelen um Elysia

Der 1960 geborene und aus dem englischen Hochadel stammende Edward St. Aubyn, der für seinen autobiografischen Romanzyklus „Some Hope“ viel Lob erntete, führt seinen Kampf stilistisch mit dem Florett. Was die kolportagehafte Handlung angeht, agiert er aber eher mit dem groben Schwert. Wie in einem Boulevardstück lässt er eine Armada von skurrilen Autoren, inkompetenten Juroren, geschäftstüchtigen Verlegern, ruhmsüchtigen Politikern aufmarschieren, die allesamt in die Querelen um den Elysia-Preis verstrickt sind. Schon die Zusammensetzung der Jury könnte grotesker nicht sein: Malcolm Craig, ein Schotte aus Überzeugung und unglücklich agierender Parlamentsabgeordneter, hat den Vorsitz inne. An seiner Seite stehen die Kolumnistin Jo Cross, deren einziges literarisches Kriterium „die Relevanz“ ist; Penny Feathers, eine ehemalige Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes, die Spionageromane schreibt; der Schauspieler Tobias Benedict, „seit frühester Kindheit ein begeisterter Leser“, und Vanessa Shaw, eine snobistische Uni-Dozentin, die als Einzige in der Lage ist, ein Kochbuch von einem literarischen Text zu unterscheiden.

Diese Differenzierungsfähigkeit wäre eigentlich bei allen Jurymitgliedern gefragt: Das „Palast-Kochbuch“ einer älteren Dame aus der indischen Oberschicht schafft es nämlich durch eine Verwechslung auf die Shortlist des Elysia-Preises – eine Verlagspraktikantin hatte es statt des neuen Romans der Autorin Katherine Burns in letzter Sekunde eingereicht. Katherine wiederum ist eine Art Femme fatale des Literaturbetriebs. Kaum ein männliches Literatenherz, das sie nicht in Mitleidenschaft gezogen hätte. Auch an Liebe, Sex und Eifersucht mangelt es dem „Besten Roman des Jahres“ nicht.

Edward St. Aubyn erzählt sprunghaft. Wie auf einer Drehbühne geht es schwindelerregend schnell von Schauplatz zu Schauplatz und von Figur zu Figur – nur ein Bruchteil des Personals kann hier erwähnt werden. Wer sich im englischen Literaturbetrieb auskennt, mag die realen Vorbilder hinter einigen seiner Protagonisten zu entlarven wissen. Notwendig ist das aber nicht; man kann sich auch so mit den prototypischen Charakteren vergnügen oder sich über sie ärgern. St. Aubyn macht sich einen Spaß daraus, seine Literaturbetriebschargen fratzenhaft zu überzeichnen und literarische Schreibweisen zu karikieren: Immer wieder darf man gruselige Auszüge aus den nominierten Büchern lesen. „Der beste Roman des Jahres“ ist eine überdrehte Posse über Eitelkeit und Macht, Kunst und Geschäft, durchaus amüsant, slapstickhaft und so manieriert, als hätte der Autor beim Halten des Füllers den kleinen Finger abgespreizt.

Literatursoziologisch ist das Buch nicht uninteressant. Wäre der Literaturbetrieb ökonomisch von Bedeutung und nicht nur für Autoren und Kritiker der Nabel der Welt, man müsste sich wirklich Sorgen machen. So viel Hauen und Stechen, so viel Häme und Niedertracht ist selten. Eingestimmt durch die Lektüre von St. Aubyns Satire, kann man sich nun umso mehr auf die Wahl des besten deutschsprachigen Romans des Jahres am 6. Oktober im Frankfurter Römer freuen. Möge zumindest der am wenigsten mittelmäßige gewinnen.

Edward St. Aubyn: „Der beste Roman des Jahres“. A. d. Englischen von Nikolaus Hansen. Piper, München 2014, 253 Seiten, 16,99 Euro

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