piwik no script img

Die Jugendversteher

Verlage des Nordens III: Der Carlsen-Verlag hat seinen Sitz in Hamburg-Altona, weil die dänische Bildergeschichte von Rasmus Klump alias Petzi-Bär auch in Deutschland ihr Publikum fanden. Momentan bereitet sich das Unternehmen auf die Zeit nach dem Ende der Harry Potter-Reihe vor

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Harry Potter stirbt. Am 21. Juli auf Englisch. Im Herbst dann auf Deutsch. Oder wenigstens verliert er seine Zauberkraft im finalen Duell mit Dauergegner Lord Voldemort. Jedenfalls wird das Ende des neuen Bandes der Roman-Serie von Joanne K. Rowling nicht einfach happy sein und süßlich, das ist klar, und es muss etwas Endgültiges haben: Eine weitere Fortsetzung wird es nicht geben. Das ist bitter. Auch für den Carlsen Verlag. Wird er das überleben?

Nein, natürlich stellt sich die Frage nicht. Nicht so dramatisch. 74 Menschen arbeiten im Haus Völckerstraße 14-20, das ist mittendrin in Hamburg-Altona. Die letzte Umbau-Phase ist kürzlich erst abgeschlossen: Die zwei alten Backstein-Fabrikgebäude sind durch einen diskreten Stahl-Glas-Verbinder zu einem Komplex verschweißt worden. Links die Comic- und die Manga-Abteilung. Rechts das Jugendbuch-Lektorat. Das Entrée: Eine elegante Halle mit Service-Point, Bücherständern und Petzi-Bär-Figur in Dreikäsehöhe. Man pflegt die eigenen Klassiker, Tim und Struppi sind natürlich auch da – aber das Ambiente verkündet die Botschaft: Bloß nicht nostalgisch werden! Keinen Staub ansetzen! Jung sein, dynamisch. Rezession ist unsexy.

Auch dafür ist die Manga-Abteilung wichtig: Als Carlsen 1991 „Akira“ herausbrachte, war das der erste japanische Comic in Deutschland. Der Erfolg war ordentlich, aber nicht sensationell, weitere Fernost-Toons floppten. Der Durchbruch für die Kulleraugen-Strips kam erst beim zweiten Anlauf, 1997, und mit einer anderen Neuerung: Dragonball wurde in asiatischer Leserichtung – von rechts nach links – gedruckt. Mutig? Nö. Das senkt die Kosten – weil man die Vorlage nicht nachbearbeiten muss. Zugleich aber war das die entscheidende Zutat, um den verpönten Stil zum Kult werden zu lassen. „So lange die Kinder sich damit von den Eltern abgrenzen können“, sagt Verlagssprecherin Katrin Hogrebe, „werden Manga erfolgreich bleiben.“ Bei der Buchmesse hat man jetzt Manga im Kleinformat vorgelegt. „Chibi“ heißen die, kosten unter zwei Euro – und das ist ein bewusstes Selbstzitat aus der Verlagsgeschichte: Per Hjald Carlsen hat 1954 das Pixi-Buch erfunden. Drei Jahre später lag die Verkaufsziffer der 50-Pfennig-Bändchen schon bei einer Million.

Potters Ende bedeutet trotzdem einen tiefen Einschnitt in das Leben des Verlags. Um zu ahnen, wie tief, reicht ein Blick auf den Umsatz: Jährlich einmal veröffentlicht Buchreport die Liste der 100 größten Verlage. Und es ist normal, dass da ein Unternehmen ein paar Plätze gutmacht oder verliert. Aber Carlsen! 2004 waren die fünfundfünfzigster, im Jahr danach geht’s ab wie auf einem „Nimbus 2000“ oder gar der advanced-Version des magischen Besens, dem „Feuerblitz“: Ein Plus von 127,7 Prozent macht einen Umsatz von 61,7 Millionen Euro – direkt hinterm S.Fischer-Verlag, der mehr als doppelt so viele Mitarbeiter hat, landete Carlsen auf Rang 22. Und „natürlich hängt das mit Harry Potter zusammen“, sagt Hogrebe, „was denn sonst?“ Heute erscheint der Buchreport mit der Liste fürs Jahr 2006: Carlsen taucht als Nummer 54 auf. Umsatz: 26,5 Millionen. „Mit Harry Potter haben wir Glück gehabt“, sagt Hogrebe.

Die Schwankungen sind nicht ganz so dramatisch für die Hamburger: Seit 1980 gehören sie zum Imperium der Familie Bonnier. Und während man die Gewinne nach Stockholm abführen muss, was ja nicht so schön ist, hat man dafür den Vorteil, Einbußen und Risiken besser ausgleichen zu können. Der Gesamtumsatz der Gruppe beträgt vier Milliarden Euro. Irrwitzig wirkt das, wenn man auf die Gründung vor 54 Jahren zurück blickt: Per Hjald Carlsen war ursprünglich, so erzählt es zumindest die als Comic gestaltete Verlagschronik, mit einem 3-Bücher-Programm durch Dänemark geradelt. Eines davon waren die Bildergeschichten des Bären Rasmus Klump, die in Deutschland als Petzi-Geschichten von Zeitungen nachgedruckt wurden. Erfolgreich – weshalb Carlsen nach Hamburg ging. Und den Verlag aufbaute. Aktuell legt Carlsen jährlich rund 560 neue Titel vor, und was Programm und Inhalte angeht, habe man völlig freie Hand, betont Hogrebe. Das ginge auch gar nicht anders, schließlich seien die Lesegewohnheiten „radikal verschieden“.

„Wir haben schon wieder Glück“, behauptet die Verlagssprecherin, wenn sie vom aktuellen Jugendbuchrenner spricht. Das ist – leider – nicht der wunderbare Roman „Das Flüstern der Engel“, der hochgradig experimentell, mit Erzählperspektiven, Zeitdimensionen und Geschlechterrollen spielt. Es ist auch nicht das wichtige Buch „Mein Bruder Charlie“ von Michael Morpurgo, eine bewegende Jungen-Biografie und ein geharnischtes Plädoyer für die Amnestierung der Deserteure des Ersten Weltkriegs. Sondern ein eher schlicht gestrickter Schmöker: Stephenie Meyers „Bis(s) zum Morgengrauen erzählt die superromantische Geschichte der Teenagerin Bella, die sich in den überirdisch schönen Vampir Edward verliebt. Der ist natürlich zugleich ein hilfreicher, edler und guter Vampir, muss sich aber furchtbar anstrengen, seine apart duftende Freundin nicht auszulutschen. Der zweite Band heißt „Bis(s) zur Mittagsstunde“, ist soeben erschienen und gehört in den online-Girlsforen zu einem der beliebtesten Chat-Themen. Aber eben: Nur auf den Mädchen-Sites, das ist der große Unterschied zum Zauberlehrling. Und weitaus berechnender geschrieben.

Die Berechenbarkeit von Erfolg ist natürlich nur relativ. Trotzdem ist es unfair, so viel von Glück zu reden. Oder doch wenigstens: Etwas viel understatement. Das Harry Potter-Glück bestand zu einem Gutteil darin, dass man sofort mit dem ersten Teil auch die Übersetzungs-Rechte an den zwei noch nicht geschriebenen Folgebänden erworben hat – von einer damals selbst in England als Geheimtipp gehandelten Autorin.

Bei Meyer ist das ähnlich: Auch das ist wohl eher ein Buch, dass Erwachsene erst mal stirnrunzelnd zur Kenntnis nehmen. Für den Jugendbuchpreis nominiert hat es die Jugendjury, und Carlsen ist der einzige Verlag, der in diesem Jahr mit zwei Titeln von diesem Gremium vorgeschlagen wird. „Sich zu vergegenwärtigen, wie man als Kind gelesen hätte“, nennt Cheflektorin Barbara König die wichtigste Qualifikation für ihren Job. Kein Zweifel, dass sie diese Kunst beherrscht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen