: „Wir touren wie eine Rockband“
NEUE KUNSTZEITSCHRIFT Wenn am Freitag das Gallery Weekend Berlin beginnt, ist „frieze d/e“ erstmals dabei. Die Chefredakteurin Jennifer Allen setzt auf die Vielfalt der Kunstszene abseits der Metropolen
■ kam mit einem DAAD-Stipendium 1995 nach Berlin. Sie hat an der Universität Montreal in Literaturwissenschaften promoviert. Sie war Lehrbeauftragte im Fachbereich Kulturwissenschaften an der HU. Seit 2007 schreibt sie regelmäßig für frieze. 2009 erhielt sie den wichtigen ADKV-Art Cologne Preis für Kunstkritik. Foto: privat
INTERVIEW BRIGITTE WERNEBURG
taz: Über Kunst kann nie genug geschrieben und nachgedacht werden. Aber ist es im Zeitalter von Internet und Blogs nicht sehr mutig, mit einer neuen Printzeitschrift herauszukommen?
Jennifer Allen: Auf den ersten Blick mag das anachronistisch wirken, aber ich habe festgestellt, dass sich die Bloggerszene alle Ressorts angeeignet hat – bis auf die Kunst. Anders als im Gastro-, Theater- oder Modebereich gibt es auf Kunstblogs, etwa contemporaryartdaily.com, kaum ein Feedback. In der Kunst gibt es immer noch eine Sehnsucht nach dem Gegenstand. Darum glaube ich, dass eine Zeitschrift wie unsere gute Chancen hat, gerade mit unserer hohen Druckqualität.
frieze d/e ist ein englisch-deutsches Projekt. Wie kam es zu dieser Idee?
Ich glaube, das war eine ganz natürliche Entwicklung. Frieze kommt zwar aus London, hat aber schon seit den späten Neunzigern einen Redakteur in Berlin, Jörg Heiser. Und natürlich schreiben wir nicht nur für Leser in Deutschland, sondern für den ganzen deutschsprachigen Raum. Die Vielfalt von Kunstvereinen, Kunsthallen und privaten Sammlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist fantastisch. Es gibt sowohl eine starke private als auch eine starke staatliche Förderung, quasi eine Mischung aus amerikanischem Mäzenatentum und schwedischem Wohlfahrtsstaat. Das schafft eine breite Öffentlichkeit.
Was bietet frieze d/e dieser Öffentlichkeit?
Die Zeitschrift ist ein Produkt der Globalisierung. Früher hat man gesagt: Eine Zeitschrift ist in einer Metropole wie Berlin, London oder New York verankert, hat aber Korrespondenten in allen anderen großen Städten, und wenn noch ein wenig Platz im Heft ist, berichtet man auch über kleinere Orte. Aber in Deutschland, der Schweiz und in Österreich funktioniert dieses Modell nicht, wegen des föderalistischen Systems. Hier gibt es überall Ausstellungen von hoher Qualität, und viele ausländische Künstler legen den Grundstein zu ihrer Karriere beispielsweise in Deutschland durch eine Ausstellung in einem kleinen Kunstverein. Dieses Phänomen wollten wir in unserer Zeitschrift abbilden. Übrigens schauen auch viele deutschsprachige Kunstzeitschriften nur nach London oder New York. Wir hingegen wollen zeigen, dass wir uns auch für Dresden oder Marburg interessieren. Damit will ich nicht sagen, dass Marburg wichtiger ist als New York, aber in diesen kleinen Städten gibt es eben auch wichtige Ausstellungen, die jedoch nur von Zeitungen rezensiert werden – wenn überhaupt.
Ohne Reisebudget ist es schwierig, Autoren in kleine Städte zu schicken. Wie wollt ihr dieses Problem lösen?
Das ist das „Phänomen Berlin“. (lacht) Alle ziehen nach Berlin, sodass es immer schwieriger wird, zum Beispiel einen Kritiker im Rheinland zu finden, aber auch in der Schweiz oder in Italien. Man könnte sagen, dass Berlin sich zum Zentrum der europäischen Kunstszene entwickelt. Dabei werden Städte wie Köln, Düsseldorf, Stuttgart, Zürich oder Basel vernachlässigt. Wir von frieze d/e werden dem entgegenwirken, indem wir durch solche Städte touren, so wie eine Rockband! (lacht) Wir werden uns gezielt an den Kunsthochschulen vorstellen und uns dort nach jungen Kritikern umsehen.
Hat frieze d/e auch Angebote speziell für die Online-Community?
Ja, wir wollen vor allem Twitter nutzen. Online werden wir mehrheitlich kurze Texte aus der Zeitschrift veröffentlichen.
Was macht ihr anders als andere Kunstzeitschriften?
Zunächst verstehen wir uns nicht als Konkurrenz zu anderen Kunstzeitschriften. Aber nimmt man Monopol auf der einen Seite, das sich an ein breites Publikum richtet, und die Texte zur Kunst auf der anderen Seite, die sich eher mit Kunsttheorie beschäftigen, dann sehen wir uns dazwischen.
Wie sieht das genau aus?
Wir bringen beispielsweise keine Künstlerporträts mit großem Foto. Uns geht es doch hauptsächlich um das Werk selbst. Außerdem nehmen wir im hiesigen Kunstbetrieb etwas wahr, was andere nicht sehen: Hier leben viele Künstler, die kein Deutsch sprechen und deshalb viele Veranstaltungen und Diskussionen verpassen, die nur in deutschen Kunstzeitschriften angekündigt beziehungsweise geführt werden. Diese Künstler und Kuratoren erreichen wir über unsere englischen Texte, mit denen wir uns ausdrücklich auch an die Nichtmuttersprachler wenden. Englisch ist die Lingua franca des Kunstbetriebs.
Die neue Ausgabe erscheint rechtzeitig zum Gallery Weekend in Berlin. Habt ihr da ein spezielles Anliegen?
Nein, eigentlich nicht. Aber ich muss sagen, das Gallery Weekend hat sich zu einer wichtigen Plattform entwickelt, obwohl es eine kommerzielle Veranstaltung ist. Es wirkt fast wie eine Biennale. Ich höre von meinem Friseur, dass Freunde zum Weekend aus London anreisen. Es kommen nicht nur Händler und Sammler auf ihre Kosten, sondern auch die Kunstliebhaber und -kenner.
■ Die temporäre frieze d/e Bar hat Fr. u. Sa. von 14 bis 2 Uhr geöffnet, Potsdamer Str. 77/79
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