: Gibt es Wunder?JA
ÜBERSINNLICH Am 1. Mai wird Papst Johannes Paul II. seliggesprochen – weil er nach seinem Tod ein Wunder vollbracht und eine Nonne geheilt haben soll. Atheisten und Naturwissenschaftler können da nur den Kopf schütteln
Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagnachmittag. Wir wählen interessante Antworten von Leserinnen und Lesern aus und drucken sie in der sonntaz.
Friedhelm Hofmann, 68, wurde 2004 zum Bischof von Würzburg ernannt
Ja, ich bin überzeugt davon. Als begeisterter Lourdes-Wallfahrer bin ich Menschen begegnet, die an diesem Marienwallfahrtsort von einer Sekunde auf die andere geheilt wurden. Der eine, Ordensbruder, 28 Jahre jung, von Multipler Sklerose geplagt, berichtet: „Die Monstranz mit der Heiligen Hostie zeichnete über mir ein großes Kreuz. Da durchfuhr es mich plötzlich wie ein Blitzstrahl von Kopf bis Fuß – das war das Ende! Nein: Ich kniete vor dem Wagen, aufrecht mit gefalteten Händen. Augenblicklich wusste ich: Ich bin geheilt.“ Die andere, eine junge Frau, ebenfalls an Multipler Sklerose erkrankt, erlangt beim Baden im Quellwasser ihre vollständige Gesundheit. Die kirchlichen Kriterien für die Anerkennung von Heilungen als Wunder sind klar und übersichtlich: Es muss eine schwerwiegende, letztlich zum Tode führende Krankheit vorliegen, die medizinisch lückenlos dokumentiert ist. Die Heilung darf keinen zeitlichen Genesungsprozess aufweisen, und die Krankheit darf sich nicht wieder einstellen. Wer diesen Wundern nicht traut, kann sich in Lourdes im Bureau de Medicale überzeugen. Dort wird jede Heilung mit dem entsprechenden Krankheitsbild dokumentiert und zugänglich gemacht.
Gloria von Thurn und Taxis, 51, Regensburger Fürstin und Unternehmerin
Natürlich gibt es Wunder! Das hat sicher jeder schon einmal erlebt. Dennoch ist es nicht leicht, an Wunder zu glauben. Eine erste Voraussetzung dafür ist, an Gott zu glauben. Wenn Gott jeden von uns liebt, warum sollte er nicht auch in unser Leben eingreifen können? Ihm dieses Können zuzugestehen, erfordert Demut. Schaffe ich es wirklich, mir Gott so groß und allmächtig vorzustellen? Wie oft ist man unachtsam über eine Straße gegangen und um ein Haar von einem Auto mitgerissen worden? Was, wenn etwa im Winter auf einem schneebedeckten Boden Rosen blühen, so wie das Juan Diego aus Guadelupe 1531 in Mexiko beschreibt? Er pflückt die Rosen und bringt diese seinem ungläubigen Bischof. Als das nicht reicht, um den Bischof von seiner Begegnung mit der Mutter Gottes zu überzeugen, bildet sich auf Juan Diegos Gewand auf unerklärliche Weise das Bild der Mutter Gottes selbst ab. Niemand kann erklären, warum sich das Jutegewand mit dem Bild bis heute erhalten hat. Ein Freund von mir machte mich allerdings auf ein ganz anderes Phänomen aufmerksam. Für ihn besteht das größte Wunder in der alltäglichen Berechenbarkeit der Welt: das rechtzeitige Aufgehen der Sonne, die Gezeiten, die Gesetze der Schwerkraft. Dass man sich immer hundertprozentig darauf verlassen könne, das sei für ihn das echte Wunder. Das größte Wunder aber bleibt die Auferstehung Christi. Wer daran nicht glaubt, braucht auch an keine anderen Wunder zu glauben.
Christoph Schubert-Weller, 60, Vorsitzender Deutscher Astrologenverband
Die Astrologie sagt dazu nicht Nein, denn im Horizont der astrologischen Deutung verweist das Planetenprinzip Neptun symbolisch auch auf das Wunder. Neptun steht aber zugleich auch für die Gefahr der Täuschung und Selbsttäuschung. Halte also Unwahrscheinlichkeiten, Gnadenerfahrungen und Wunder für möglich, aber hüte dich vor leichtfertigem Glauben und Aberglauben, so lautet die Botschaft der Astrologie. Der Astrologiegegner bestreitet der Astrologie natürlich von vornherein jeden Wahrheitsgehalt und hält es wahrscheinlich für ein Wunder, dass es dieses Fachgebiet überhaupt noch gibt. Astrologie ist kein Philosophie- oder Religionsersatz. Für die ernsthafte Astrologie jenseits billiger TV- und Horoskopspaltenunterhaltung war und ist es aber stets von Neuem das große Wunder, dass der Kosmos auch individuelle und kollektive menschliche Existenz sinnhaft zu deuten vermag. Den Sinn im Wunder unserer Existenz zu erschließen, dazu trägt die Astrologie auf ihre Weise bei.
NEIN
Gotthold Hasenhüttl, 77, war Priester und trat aus der Kirche aus
Unter Wundern versteht man häufig das Eingreifen Gottes in die Natur wie in die Geschichte der Menschen. Im Alten Testament gibt es Heil- und Strafwunder, und solche Wundervorstellungen haben sich in der katholischen Kirche vielfach erhalten. Es ist höchst fraglich, dass das Gebet einer psychisch kranken Nonne zum toten Papst Johannes Paul II. die Heilung von einer angeblichen Parkinson-Krankheit verursachte. Diese mythische Wundervorstellung ist theologisch falsch und abzulehnen, zumal die durch ein Wunder begründete Seligsprechung Johannes Paul II., der ein Freund des Kinderschänders Maciel war und innerkirchlich alle Erneuerungen unterdrückte, ein bewusster Affront gegen die Opfer – nicht nur sexuellen Missbrauchs – ist. Durch diese kirchlich-machtpolitische Manipulation wird genau das negiert, was im Neuen Testament als „Wunder“ Jesu bezeichnet wird.
Harald Lesch, 50, ist Astrophysiker, Naturphilosoph und Fernsehmoderator
Als Naturwissenschaftler beschäftigt man sich bereits zu Beginn des Studiums mit dem Begriff des Methodischen Naturalismus, das heißt, man fragt sich, wie die Naturwissenschaft überhaupt funktioniert. Irgendwelche übernatürlichen Ereignisse werden dabei grundsätzlich ausgeschlossen. Gott spielt in der Naturwissenschaft somit keine Rolle, und es gibt in der Naturwissenschaft auch keine Wunder. Im alltäglichen Sprachgebrauch sprechen wir ja immer dann von „Wundern“, wenn wir etwas nicht erklären können. Wir Wissenschaftler, die den Anspruch haben, alles zu erklären, sind jedoch der Meinung, dass es keine Wunder gibt und dass man alles irgendwie erklären kann. Wenn wir bei unseren Forschungen zu einem Ergebnis kommen, das wir nicht verstehen, ist das für uns kein Wunder, sondern lediglich Anlass dafür, weiterzuforschen und genau das herauszufinden und zu erklären, was wir noch nicht verstehen. Darüber hinaus halte ich die Seligsprechung des Papstes keineswegs für ein Wunder, vielmehr für einen bloßen Verwaltungsakt der katholischen Kirche.
Bernhard „Wunder“ Wunderlich, 35, ist Physiker und Rapper der Gruppe Blumentopf
Wenn mit „Wunder“ das Eingreifen einer übernatürlichen Macht gemeint ist, kann ich diese Frage nur verneinen. Es braucht kein Wunder, damit beispielsweise jemand den Sturz aus dem 30. Stockwerk überlebt – es ist zwar äußerst unwahrscheinlich und bedarf besonders günstiger Umstände, aber ab und zu passieren eben auch die unwahrscheinlichen Ereignisse. Wenn „Wunder“ dagegen einfach nur die Vorgänge bezeichnet, deren natürliche Ursachen wir noch nicht kennen, dann steckt die Welt tatsächlich voller Wunder, die es zu erforschen gilt. Insofern hoffe ich, dass wir eines Tages auch die Mechanismen verstehen werden, die zu solch „wunderbaren“ Heilungen wie im Fall der Nonne, die Johannes Paul II. gerettet haben soll, führen können. Derartiges als übernatürliches „Wunder“ zu akzeptieren, hieße dagegen, die Suche nach den natürlichen Ursachen aufzugeben – ich denke nicht, dass uns das weiterbringt.
Peter Neuhaus, 46, aus Hilchenbach, kommentierte die sonntaz-Frage auf taz.de
Ein wirkliches Wunder ist es, dass die Theologie, die Johannes Paul II. unter der ideologischen und inquisitorischen Führerschaft des heutigen Papstes Ratzinger alias „Bene“dikt XVI. zu vernichten suchte, noch immer existiert – nämlich die Befreiungstheologie in Lateinamerika und anderswo. Insofern ist dieser Papst tatsächlich für ein Wunder verantwortlich, allerdings eines wider Willen. Der Rest ist Hokuspokus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen