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Nena lässt Luftballon platzen

Die Popsängerin gründet mit drei Freunden eine Schule in Hamburg-Rahlstedt. Die Kinder sollen die Freiheit haben, zu lernen, was sie wollen. Sie können sogar Lehrer entlassen. Jetzt sucht die Schule nur noch Spender

von KAIJA KUTTER

Die Szene gestern glich zunächst mehr einem Foto-Shooting für eine Popsängerin. Nena fährt leicht verspätet im schwarzen Geländewagen vor das Portal einer alten Gründerzeitvilla. Und während die Journalisten darüber witzeln, welcher Mann an ihrer Seite der Lebensgefährte sei, hält sie ein Schild mit der Aufschrift „Neue Schule Hamburg“ ins Blitzlichtgewitter.

Danach geht es ins Innere der noch unbeheizten Villa und wird inhaltlich. Nena („99 Luftballons“) ist Mutter von vier Schulkindern und hat ein Anliegen. „Ihr seid hier nicht in der Nena-Schule“, klärt sie die Journaille auf. Sie ist nur eine von vier Gründern der „Neuen Schule Hamburg“. Seit vier Jahren hat sie den Plan, eine demokratische Schule nach dem Vorbild der amerikanischen Sudbury-Schulen zu gründen. Jetzt wurde das Konzept genehmigt. „Ich danke der Schulbehörde“, ruft Nena. „Es ist mutig und fortschrittlich, eine Schule zu genehmigen, in der Schüler und Lehrer gleichberechtigt sind“.

Sie wird nicht selber unterrichten, will aber „den Kindern einen natürlichen Raum geben, sich frei zu entfalten“. Lehrpläne, Klassen und einen festen Stundenplan gibt es nicht für die 65 Kinder von vier bis 17 Jahren, die von September an in der Villa die Schulbank drücken sollen. Es gibt „Themenräume“: Matheraum, Musikraum, Bibliothek, Ruheraum und Wissenslabor. Es gibt Projekte und Lernangebote statt Frontalunterricht. Noten gibt es nur, „wenn die Kinder das wünschen“. Nur einmal im Jahr stellt die Behörde eine „Vergleichsarbeit“, um zu überprüfen, ob die Schüler leistungsmäßig den Anschluss halten.

Lehrer und Schüler sind gleich stimmberechtigt, wenn es gilt, Regeln aufzustellen. Und einmal im Jahr dürfen die Kinder sogar entscheiden, ob die Lehrer bleiben sollen. Die Lehrer seien „Dienstleister“ für die Schüler, sagt Nena. „Wenn ein Großteil der Schüler mit jemandem nicht klar kommt, macht es keinen Sinn, dass der Lehrer ist.“ Diese Konzept, das zeigten Erfahrungen aus USA, führe weder zu „Chaos“ noch zu „hire and fire“, weil die Schüler sich verantwortlich verhielten.

Freiheit und Selbstbestimmung sind für Nena unabdingbar für eine moderne Schule. Denn sie kennt kein Kind, das gern zur Schule geht. „Ich verstehe nicht, wie die Gesellschaft das akzeptieren kann.“ Die Kinder gingen begeistert zur Einschulung und würden dann „nach vier, fünf, sechs Wochen schon gar nicht wissen, was sie da machen“. Sie seien dort Menschen ausgeliefert, zu denen sie laut Nena keine Beziehung haben. „Wünschen Sie sich jeden Tag mit einem Mann im Raum zu sitzen, der sagt, wann Sie Essen dürfen, wann Sie aufs Klo dürfen und wann Sie still sein sollen?“ Kein Erwachsener würde sich das gefallen lassen. „Diese Debatte würde ich gern führen.“ Die Sängerin will selber nicht an der Schule unterrichten und sich auch nicht in die aktuelle Schulpolitik einmischen, sondern mit ihrem Projekt, das mit anderen Reformschulen vernetzt ist, ein Beispiel geben.

Und was ist, wenn die Kinder nicht genug lernen? Nena, die ihre Kinder bisher auf der Waldorfschule hat, kennt diesen Satz von Elternabenden, doch sie kann das mangelnde Vertrauen der Eltern nicht verstehen: „Der Mensch lernt sowieso, es geht gar nicht, dass er nicht lernt“, sagt sie und redet von Erkenntnissen der Hirnforschung.

Wenn Nena nicht weiter weiß, tippt sie ihren Lebensgefährten Philipp Palm an, der einer der Direktoren der Schule sein wird. „Die Kinder lernen von allein laufen und sprechen durch ihr Umfeld“, erläutert der. Auch Rechnen, Schreiben und Lesen seien Grundfertigkeiten, die jedes Kind lerne, allerdings „zu seiner Zeit“. Palm: „Manche schon mit vier. Bei anderen ist es erst mit zehn Jahren wichtig“. In den Sudbury Schulen in den USA sei in 40 Jahren kein Kind von der Schule gegangen, das nicht lesen, schreiben und rechnen gelernt hätte.

Auch die Sorge, hier würden Anarchisten erzogen, teilen die Schulgründer nicht. „Wir leben doch in einer Demokratie. Nur findet das in der Schule nicht statt!“, Palm wird laut. „Dort dürfen Kinder nur den Klassensprecher wählen“. Absolventen demokratischer Schulen können später „sehr gut mit Situationen umgehen, wo es einen Chef gibt, der sagt, was zu tun ist“, beruhigt Henning Graner, eine der künftigen Lehrer.

Drei Vollzeitlehrer, zwei Halbtagslehrer und drei Mitarbeiter werden an der Ganztagsschule unterrichten – ein guter Personalschlüssel, der wohl auch manche Kinder überzeugt hat, die in einer Broschüre zu Wort kommen. „Meine Lehrer haben so wenig Zeit“, schreibt Dominik (7), „und ich will immer so viel wissen.“

Ob die Schule sich finanziell trägt, ist offen. Die Stadt Hamburg überweist erst nach dreieinhalb Jahren den staatlichen Zuschuss, bis dahin gibt es eine jährliche Lücke von 240.000 Euro, von denen nur rund 100.000 durch die Elternbeiträge von monatlich 150 Euro beglichen werden können. Für den Rest sucht die Schule noch Spenden.

Nena, die mindestens eines ihrer vier Kinder auf die Schule schicken will, hat bereits die Villa gekauft. „Andere kaufen eine Jacht“, sagt sie. „Wir gründen eine Schule.“

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