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Ohne Hitler geht die Sache noch nicht

Drei „Titanic“-geschulten Dreißigern gelingt im Mehringhof mit „Mach3!“ eine charmante Mischung aus politischem Kabarett und Generationenstück

VON HEIKE RUNGE

Gäbe es eine Hitliste der meistparodierten Personen, würde Hitler ganz weit vorne liegen – dicht gefolgt von Reich-Ranicki. Der „Führer“ und der Literaturpapst, das sind die Dauerbrüller auf deutschen Kleinkunstbühnen. Vor allem dort, wo Kabarett noch den Anspruch hat, politisch zu sein, gehört Hitler ins Repertoire. Wer Hitler auf die Bühne stellt, demonstriert, dass er, anders als im boomenden Comedy-Mainstream üblich, rückwärts einparkende Frauen nicht für die größte Geißel der Menschheit hält. Was ja erst mal genau so richtig wie langweilig ist.

Auch die drei unter dem Label „Mach3!“ zusammengeschlossenen Künstler Matthias Tretter, Claus von Wagner und Philipp Weber könnte man als echte Old-School-Kabarettisten sehen. Den Diktator geben sie gleich mehrmals am Abend; mal verdingt er sich als Helge-Schneider-Double, mal ist er der emanzipationsgeschädigte deutsche Mann, der Trost in der Ideenwelt der Eva Herman sucht. Reich-Ranicki kommt dann in der Zugabe zum Einsatz. Dazwischen: Witze über Merkel, Bush, Stoiber, die NPD, al-Qaida und den demografischen Wandel.

Das Erstaunliche bei „Mach3!“ ist, dass dieses Klassiker-Programm samt aller „Scheibenwischer“-Ingredienzien nicht von gereiften Herren in Cordhosen präsentiert wird, sondern von drei Vertretern einer Titanic- und Harald-Schmidt-sozialisierten Humorgeneration um die Dreißig. Und siehe da: Auch wenn sich das „Hardcore-Kabarett-Erlebnis“ (Pressetext) am Premierenabend nicht auf Anhieb einstellt, machen die drei vieles gut und richtig und witzig. Auf eine zumeist charmante, dreiste, intelligente Art. Matthias Tretter ist so etwas wie der Leitwolf des Trios, zuständig für aktuelle politische Lagebestimmungen und manchmal zu routinierte Pointen (im Karikaturenstreit schreien die Islamisten „wie am Döner-Spieß“). Sein Kapital ist eine Haltung jungshafter Verdrossenheit in einer Welt, in der die Lebensversicherung vom Hähnchengrill kommt und Migranten versuchen müssen, die besseren Deutschen zu sein.

Es ist aber vor allem das Zusammenspiel mit dem verpeilten Stand-up-Comedian Philipp Weber und dem wunderbaren Claus von Wagner, das die besondere Mischung aus politischer Satire und Generationenstück ausmacht. Wagner ist mit seinen Entertainer-Qualitäten der Robby Williams der Gruppe, ein wandlungsfähiger Darsteller, der sich vorbehaltlos in die verschiedenen Rollen – peruanischer Flötenspieler in der Fußgängerzone, verirrtes schwules NPD-Mitglied oder Alt-Student in einer Senioren-WG – hineinbegibt und die anderen mitzieht.

Das Schauspielerische, traditionell im politischen Kabarett eine extrem steife und peinliche Angelegenheit, ist eine der größten Stärken des Trios. Hier werden keine Leitartikel verlesen und dazu Gesichter verzogen, hier wird auf angenehm entspannte Weise mit den Möglichkeiten der Gesellschaftskritik auf dem Theater gespielt.

Nur das Politische selbst, es bleibt oft bloße Behauptung, Oberfläche. Da kann sich Matthias Tretters noch so wild entschlossen das Palästinensertuch umlegen, da kann die herumreisende Bundeskanzlerin noch so zynisch als „Paris Hilton der Weltpolitik“ gedisst werden: Claus von Wagner gibt selbst schulterzuckend zu, dass die moderate Angela Merkel eigentlich für seine Generation nicht wirklich als Feindbild taugt. Auch im neuen deutschen Nachwuchs-Politkabarett gilt daher: Ganz ohne Hitler geht die Chose nicht.

Bis 14. 4. tägl. außer Montag: 20 Uhr, Mehringhoftheater, Gneisenaustr. 2a

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