: Mit dem Camcorder mittenmang
Ab nächsten Donnerstag zeigt das 3001-Kino im Rahmen der 4. Dokumentarfilmwoche 26 Filme, die den Blick auf soziale Widersprüche richten. Bei vielen Filmen sind die MacherInnen anwesend
Das breit gefächerte Programm der 4. Dokumentarfilmwoche in Hamburg, die ab nächste Woche Donnerstag im 3001 zu sehen ist, zeigt Filme aus St. Pauli, aus Kumba in Kamerun, aus Leningrad, aus Oaxaca – gemeinsam ist allen ein schonungsloser Blick auf soziale Widersprüche. Diese Unmittelbarkeit, mit der die Kamera auf die Schattenseiten der Gesellschaft gerichtet wird, ist sehenswert. Es gibt Aufwühlendes zu sehen, schwer zu Ertragendes, Empörendes – aber auch Hoffnungsvolles.
Dabei räumt die Dokumentarfilmwoche auch dem Bedürfnis breiten Raum ein, über einen Film zu reden: „Wir werden weiter debattieren über Form und Inhalte“, so Rasmus Gerlach von der Veranstaltergruppe. Vom etwas zu schaumschlägerischen Festivalmotto „Hamburger Aufstand 07“ sollte sich dabei niemand abschrecken lassen, zumal das Programm zum Großteil nirgendwo sonst zu sehen sein wird – und einen spannenden Kontrast bildet zur Entpolitisierung von Dokumentarfilmen.
Mehrere Filme zeigen Hamburg von unten. Von Rasmus Gerlach selbst ist „Der Riß im Regenbogen“ zu sehen. Ein Film über die Großmutter Ursel, die seit Jahren ihre beiden cracksüchtigen Enkel unterstützt, die am Hamburger Hauptbahnhof leben. In „Eins in die Presse“ ist der legendäre Pressefotograf Günter Zint zu sehen, der beim Spiegel rausflog, weil er gleichzeitig fotografierte und demonstrierte. An die großen Brokdorfdemonstrationen der 70er Jahre erinnern seine Fotos. Daran, wie gemeinschaftlich militant gegen die Bauplätze der AKW angegangen wurde. Der Film „Kinderglück“ schließlich zeigt, wie eine solidarische Kindereinrichtung sich im Schanzenviertel gegen die Vorgaben der Stadt behauptet.
Eine selten gezeigte Perle unter den Dokumentarfilmen ist „Hamburger Aufstand Oktober 1923“. Klaus Wildenhahn und Gisela Tuchtenhagen, die beide bei der Vorführung anwesend sein werden, haben 1971 Überlebende dieses letzten revolutionären Aufbegehrens nach der Novemberevolution behutsam interviewt, sie respektvoll ins Bild gerückt. Alte Barmbeker KommunistInnen kommen zu Wort, in ruhigen, langen Einstellungen, die Zuschauerin kann sich auf ihre Erzählung einlassen.
Dem konzeptionell klar durchgestalteten Dokumentarfilm mit seiner aufwendigen Technik steht der unmittelbar im Geschehen Filmende, autonom agierende Camcordista von 2007 gegenüber: „Einfache Camcorder stehen der Begegnung mit der Realität weniger im Weg als teure Apparate und so ebnete die digitale Revolution auch dem Dokumentaristen unseres Eröffnungsfilms den Weg“, so Rasmus Gerlach.
In „Angriff auf den Traum“ etwa begleitet Uli Stelzner Migrantinnen aus Mittelamerika bei ihrem Versuch, über Mexiko in die USA zu gelangen. Stelzner filmt mit dem Camcorder an der Grenze von Guatemala zu Mexiko. Zwischen den ambulanten Händlern, den Rikschas und den armseligen Cafés sind die Busse, in denen die Abgeschobenen aus Mexiko zurückkommen, das Einzige, was nach Geld aussieht. Stelzner ist mitten unter den Männern, die ihm ihre Gedanken mitteilen, während sie darauf warten, auf einen Zug aufspringen zu können, der nach Norden fährt. Das heimliche Mitfahren auf Güterwaggons ist zu sehen, die ständige Gefahr, auf die Gleise unter den fahrenden Zug zu geraten. Das Hauen und Stechen wird gezeigt undveranschaulicht, wie den Migrantinnen von Polizei und Maras, Jugendbanden, ihr weniges Geld abgenommen wird. Beklemmendes Material. Aber darüber lässt sich im Kino ja reden, nach der Vorführung.Gaston Kirsche
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