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Schaut auf dieses Tier!

Jetzt ist aber Knut. Im Zoo gibt es noch andere süße Tiere: den Hirscheber etwa. Traurig trippelt er durch sein Gehege – von der Evolution gestraft, vom Publikum ignoriert

VON ULRICH SCHULTE

Noch nicht mal einen Namen hat er. Der kleine Hirscheber trippelt traurig durch sein Gehege, in seine Stirn haben sich Sorgenfalten gegraben. Ab und zu steckt er das Schnäuzchen durchs Gitter – als wolle er rufen: Bleibt stehen! Beachtet mich! Habt mich lieb! Auf dem Schild findet sich lediglich der anonyme Hinweis: Hirscheber, Babyrousa, Paarhufer.

Hier, in einem kleinen Nebenweg des Zoologischen Gartens, zeigt sich die Kehrseite des aktuellen Tierkind-Hypes. Hundert Meter weiter tollt Eisbär Knut in der Sonne herum – der possierliche Hirscheber steht im Schatten. Dort drängeln sich Hunderte, ach was: Tausende, hier hasten sie vorbei. Der rundliche Hirscheber – von der Evolution gestraft, vom Menschen ignoriert. Dabei hätte er ein bisschen Aufmerksamkeit bitter nötig: Der Hirscheber ist eine der am stärksten bedrohten Tierarten – nur noch 4.000 Exemplare leben in ihrer Heimat, dem indonesischen Regenwald, in Freiheit.

Jetzt, endlich. Drei britische Studenten blieben stehen und zücken die Digitalkameras. Zwei Frauen, ein Mann mit wilder Lockenmähne. Sie sind jung, sie sind schön, sie tragen Boss-Sonnenbrillen. „Oh shit, how ugly“, ruft der Mann. „I can’t believe he’s doing that! He’s eating his own crap.“ Tatsächlich: Das Tier mit den überlangen, bizarr geformten Eckzähnen knabbert ein paar Kotkügelchen. Vielleicht aus Langeweile, vielleicht aus Frust. In seinem Herzen muss es so trist aussehen wie in einem leeren Futtertrog. Weil sich keine Kinderhand nach ihm reckt, kuschelt es sich an den Baumstamm in seinem Freigehege.

Dabei hätte Babyrousa so viel zu bieten: Zum Beispiel ist er das einzige Schwein, das die Prinzipien des Gender-Mainstreaming befolgt. Auch die Sau heißt nämlich „Eber“. Seine oberen Hauer wachsen nicht aus dem Maul heraus, sondern durchstoßen von innen die Rüsseldecke – ein unter Säugetieren einzigartiges Phänomen. Bis heute versuchen Mediziner herauszufinden, warum sich die Stellen, an denen der Zahn die Haut durchbricht, nicht entzünden – Mythos Hirscheber!

Sollte sein Geheimnis irgendwann gelüftet werden, könnte das zur Melancholie verdammte Schwein dem Menschen noch von Nutzen sein. Knut hingegen, das „süße“ Eisbärbaby, würde seinem Pfleger schon bald mit lautem Krachen den Kopf abbeißen – wenn man ihn denn ließe. Allein: Die Menschen interessiert das nicht. An diesem Osterwochenende wird ihre Begeisterung für den kleinen arktischen Killer einen Höhepunkt erreichen. Sie werden wieder geduldig in der hunderte Meter langen Schlange vor Knuts Showbühne stehen. Sie werden sich an der Bärenanlage vorbeidrängen, schwitzen und Kameras hochrecken. Sie werden überteuerte Plüsch-Knuts kaufen und Knut-Bratwürste verspeisen.

Der kleine Hirscheber hingegen wird einsam bleiben. Doch er ist tapfer. Er ignoriert Kinder, die an der Hand der Eltern zerren und quengeln: „Will zu Knut!“ Resignation ist seine Sache nicht. Stattdessen zeigt der niedliche Paarhufer, was er hat: Er wedelt mit dem dünnen Schwänzchen, trägt die schütteren Borsten auf seinem bräunlich-rosafarbenen Speck mit Stolz, setzt die dürren Beinchen wie auf einem Laufsteg. Er weiß genau: Irgendwann kommt seine Zeit.

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