OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Es mag ein wenig makaber klingen, in diesem Zusammenhang von einem aussterbenden Berufsstand zu sprechen, doch es stimmt: Henker haben in Europa zurzeit nur wenig Konjunktur. Doch für seine Dokumentation „Henker – Der Tod hat ein Gesicht“ hat Regisseur Jens Becker sechs Männer vor die Kamera geholt (ein siebter, der letzte Henker der DDR, ist durch ein Fernsehinterview mit Roger Willemsen präsent), denen eines gemeinsam ist: Sie alle haben im Auftrag staatlicher Autoritäten andere Menschen getötet. In Parallelmontagen lässt Becker die Henker alsdann aus ihrem Leben berichten: von der Technik ihres Handwerks und der Bezahlung; wie sie zu ihrer Aufgabe kamen und von den Auswirkungen, die diese Tätigkeit im familiären Bereich hatte. Dabei offenbaren sich die unterschiedlichsten Lebensläufe und Einstellungen: So kam etwa Paul Sakowski 1937 als Kommunist ins Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er auf Geheiß der Nazis Mitgefangene zu hängen hatte. Nach dem Krieg verbrachte er als Kollaborateur 25 Jahre im Arbeitslager und im Gefängnis – er betrachtet sich selbst als Opfer. Der amerikanische Soldat Joseph Malta hingegen meldete sich freiwillig, um die zwölf deutschen Hauptkriegsverbrecher hinzurichten, was ihn noch immer mit Genugtuung erfüllt. Reuf Ibrisagic, der in Sarajevo an mehreren Erschießungen beteiligt war, meint hingegen heute: „Eigentlich bin ich gegen die Todesstrafe.“ Dass sich Becker und sein Co-Autor Gunnar Dedio eines moralisierenden Kommentars enthalten, ist nur konsequent: Die Henker selbst sind Kommentar genug und werden vom Film doch niemals denunziert. Sie bleiben Menschen mit all ihren Widersprüchen. (10. 5., Filmmuseum Potsdam)
Selbstbeweihräucherung ist ihre Sache nicht. Wenn sich die Regisseurin Agnès Varda mit „Les plages d’Agnès“ (2007) also eine Art Selbstporträt gönnt und auf ihr Leben und ihre Karriere zurückblickt, dann geht es weniger um sie selbst als vielmehr um all die Leute, denen sie aus einem derartigen Anlass wiederbegegnet: Nachbarn, Freunde, Kollegen, Mitarbeiter. Und um die neuen Geschichten, die an vertrauten Schauplätzen entstehen können. Wie etwa in jenem Moment, als sie noch einmal das Haus besucht, in dem sie ihre Jugend verlebt hat. Besonders interessant scheint sie das eigentlich nicht zu finden, dafür ist sie sofort fasziniert von den Modelleisenbahnen des augenblicklichen Wohnungsinhabers. Es ist dieses immer spürbare Interesse für die Menschen, das Vardas Filme so interessant macht. (OmU, 6.–11. 5., Bali)
Das Hundemädchen Lotte, ein alljährlicher Erfinderwettbewerb, bei dem ihr Vater stets als Favorit ins Rennen geht, eine japanische Biene namens Susumu sowie eine Judomeisterschaft in Fernost: Mit „Lotte im Dorf der Erfinder“ (2006) schufen die estnischen Animationsfilmer Janno Pöldma und Heiki Ernits einen fantasievollen Zeichentrickfilm im charmanten und attraktiven Bilderbuchstil, dessen episodische Struktur den jüngeren Zuschauern sicher entgegenkommen wird. (7. 5.,10.–11. 5., Sputnik 1; 11. 5. Sputnik 2) LARS PENNING
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