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Nicht rasten noch rosten

Und immer ein paar schräge Nuancen oben drauf: CocoRosie sind die Nutznießerinnen in der Björk-Nische. Am Ostermontag stellten sie ihr neues Album im Postbahnhof vor

Der Beatboxer macht total verrückte Sachen. Mit seinen Stimmbändern und einem Mikro in der Hand imitiert er den amtierenden DJ-Weltmeister, scratcht mit Zungenschlag und pumpt Beats aus seinen Backen. Ein irrer Typ, total der schräge Vogel – und der Neue bei CocoRosie, wie man nach seiner ausgedehnten Soloperformance im Vorprogramm der New Yorker Schwestern bald erfuhr.

Deren Konzept ist nun also um noch eine Nuance schwerer durchschaubar. Verortete man die Herkunft der ersten beiden Platten von CocoRosie stets in einem Zauberland, im Feenreich oder direkt im Kinderzimmer – so versponnen und schier undurchdringlich klang dieser Zierrat aus Operngesang, kunstfertiger Naivität und Harfenklängen –, macht der Zusatz „HipHop“ auf der neuesten Platte der Band und nun hier auf der Bühne des Postbahnhofs CocoRosie Studies endgültig zu einem äußerst schwierigen Fachgebiet.

Doch dieser Wirrwarr der Zeichen, dieser Dschungel der Codes, dieses ultrapostmoderne und sich den festen Identitäten verweigernde Verweben von Transgender-Looks, Kunsthochschule und einer schon fast surrealen Musik kommt – erstaunlicherweise – heutzutage allerbestens an. Der Erfolg von CocoRosie ist inzwischen immens. Das Konzert in Berlin war hoffnungslos ausverkauft, jede Pirouette einer Protagonistin auf der Bühne wurde von einem Publikum auf Knien frenetisch beklatscht.

Erkenntnis: Die Stelle von Björk als verrücktem Huhn ist nicht mehr vakant, die beiden CocoRosie-Schwestern Bianca und Sierra Casady haben sie neu besetzt – und machen aus ihren Ambitionen auch gar kein Geheimnis mehr: Ihre neue Platte, die mit „The Adventures of Ghosthorse and Stillborn“ einen Titel trägt wie ein Gedichtband, wurde der Einfachheit halber gleich von Björks Hausproduzenten produziert.

Wie für Björk gilt auch für die Nachfolgerinnen: Stillstand bedeutet Tod, es gilt, berechenbar zu bleiben daaberrin, stets unberechenbar zu sein. Deshalb wohl gibt es nun die Nummer mit dem Beatboxer, diese eigenwillige Annäherung an Studentenrap, der seine Wurzeln hörbar nicht in der Bronx, sondern im Gallerienviertel Manhattans hat. Bestimmt hätte auch ein Metalgitarrist oder ein Obertonsänger aus der Mongolei prima seinen Zweck als Rundum-Erneuerer der CocoRosie-Masche erfüllt.

Der Beatboxer jedenfalls, das muss man so deutlich sagen, mag dem neuen Albumwerk mit dem programmatisch lyrischen Titel die entscheidende Zusatznote an Exzentrik verliehen haben – live beim Konzert hat er auf Dauer einfach nur genervt.

Er zerbeatboxte alte CocoRosie-Perlen und ließ sie dank seines Gegluckses und Gehechels weniger filigran klingen. Da konnten sich die Schwestern an der Harfe und der akustischen Gitarre noch so sehr abmühen, ihre Stücke mit Zuckerguss zu überziehen: Die Kehlkopfakrobatik des Beatboxers machte aus dem Naschwerk einen Sauerbraten. Da hätte man sich dann doch bei allem Avantgarde-Anspruch von CocoRosie ein wenig Wertkonservatismus, mehr Respekt vor dem eigenen Werk gewünscht. Der wurde im Namen des Fortschritts einem fast bizarr anmutenden Originalitätsfuror geopfert. ANDREAS HARTMANN

Das dritte CocoRosie-Album „The Adventures of Ghosthorse and Stillborn“ (Touchandgo) erscheint am Freitag

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