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Mit dem Spargel-Video fit für den Acker

Bei Mainz werden nur noch motivierte Arbeitslose in die Ernte geschickt. Das Ausbuddeln des Spargels wird vorher geübt. Polnische Erntehelfer gehen inzwischen lieber nach Spanien oder Südfrankreich – dort gibt es mehr Geld zu verdienen

Pollenallergiker und Leute mit Rückenproblemen müssen nicht ernten

AUS MAINZ UND TREBUR KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Spargelernte! Ein Aufregerthema jedes Jahr, wenn es darum geht, mal wieder deutsche Arbeitslose in die Ernte zu schicken. Die sich dann doch meist nach kurzer Zeit krankschreiben lassen.„In diesem Jahr wird alles anders werden“, sagt Leoni Faller-Ervens vom Jobcenter in Mainz. Aus dem Kreis der von ihr betreuten rund 120 Langzeitarbeitslosen hat sie schon vor Wochen 12 Freiwillige rekrutiert und akribisch auf den „harten Job auf dem Acker“ vorbereitet.

„Wir haben den Leuten Filme vom Spargelstechen gezeigt und gemeinsam unter Anleitung den Umgang mit den Werkzeugen geübt“, berichtet Faller-Ervens gestern am Rande eines Spargelfeldes in der Mainzer Gemarkung Bretzenheim, auf dem ihre „Kunden“ gestern den ersten Praxistest absolvierten. Die Bundesagentur für Arbeit unterstütze das Projekt, so die rührige Arbeitsvermittlerin weiter. Keiner der Langzeitarbeitslosen werde mehr wie noch 2006 „ins kalte Wasser geworfen“. Und mit Sanktionen wie noch im vergangenen Jahr müsse aktuell auch keiner der deutschen Erntehelfer mehr rechnen, die den Job „wieder hinschmeißen“ würden. Schließlich gebe es Pollenallergiker und Leute mit ernstzunehmenden Rückenproblemen.

Entsprechend engagiert gehen die angelernten Spargelstecher zu Werke. Und mit dem freundlichen Zuspruch von Spargel- und Gemüsebauer Thomas Stauder, dessen Musterhof auch schon einmal von Schulklassen besichtigt wird, geht es flott voran. Die Körbe füllen sich. Bei der Stange bleiben wollen sie alle, sagen sie noch am Morgen. Dabei gibt es nicht allzu viel dazuzuverdienen. Fleißige Akkordarbeiter kämen auf 300 Euro mehr, als die Regelsätze für Hartz IV plus Miete von rund 700 Euro hergeben würden, rechnet Faller-Ervebs vor. Aber die Fleißigen hätten auch die große Chance, von den Landwirten fest angestellt zu werden.

Entspannter als 2006 ist die Lage an der „Spargelfront“ auch deshalb, weil die Bauern in diesem Jahr frühzeitig wussten, dass nur 10 Prozent ihrer Erntehelfer deutsche Arbeitslose sein müssen. Und dass diese Quote im Bedarfsfall auch noch unterschritten werden darf. Die „präzisierte Eckpunkteregelung“ schaffe für die Landwirte mehr Planungssicherheit und ermögliche einen flexibleren Einsatz der Erntehelfer, konstatierte denn auch der hessische Landwirtschaftsminister Wilhelm Dietzel (CDU) bei der Eröffnung der Erntesaison in der Spargelhochburg Lampertheim im Hessischen Ried.

Doch schon jetzt mangelt es großen Spargelanbauern an professionell arbeitenden Hilfskräften. Die polnischen Saisonarbeiter folgten dem Lockruf des Geldes und arbeiten inzwischen lieber auf den gigantischen Obst- und Gemüseplantagen in Spanien und Südfrankreich. Und auch in England zahlen Gemüsebauern rund 3 Euro mehr pro Stunde als in Deutschland üblich für den Arbeitseinsatz auf ihren Feldern.

„Wir haben jetzt viele Rumänen angestellt“, berichtet Spargelbäuerin Hirsch in Trebur, deren Erste Sorte Jahr für Jahr die Gourmets im ganzen Landkreis Groß-Gerau entzückt. Und auch ein paar Polen hätten ihnen die Treue gehalten. Schließlich gebe es auf ihrem Hof „volle Verpflegung und eine saubere Unterkunft“. In England sei das nicht die Regel.

Mit den Deutschen hat man auf dem Spargelhof Hirsch im vergangenen Jahr keine guten Erfahrungen gemacht. Auf keinen Einzigen sei Verlass gewesen. Aber gut angelernte Kräfte wie die jetzt in Rheinland-Pfalz würde man auch in Hessen „mit Kusshand“ nehmen, sagt die immer freundliche Frau Hirsch; ansonsten brauche man sicher bald Weißrussen oder Ukrainer.

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