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Kinder, bastelt doch mal was!

FERNSEHEN Die Medienanstalt Berlin Brandenburg hatte junge Menschen eingeladen, Tools für das Internetfernsehen zu ertüfteln. Beim „Hackday“ entstand Skurriles – und Nützliches

Als das Internet dann ging, krachte zur Freude des Publikums ein Schild von der Wand

VON ANDREAS HARTMANN

Die Zukunft des Fernsehens ist schon Gegenwart – spätestens seit dem Deutschland-Start von Netflix vor ein paar Tagen. Der amerikanische TV-Gigant wird unser Sehverhalten weiter verändern, die Zeiten, in denen man abhängig war vom Diktat des Fernsehprogramms, sind bald endgültig Geschichte. Über das Netz hat man schon jetzt Zugriff auf unendliche Mengen an Inhalten. Das Versprechen des Internetfernsehens: Schau, was du willst, wann immer du willst. Wahnsinn! Toll!

Doch hier beginnt schon die Problematik, mit der sich am Wochenende der „TV-Hackday“ beschäftigte. Veranstaltet wurde er von der Medienanstalt Berlin Brandenburg (MABB) gemeinsam mit dem Internetfernsehexperten Bertram Gugel, der wirklich so heißt. Alles jederzeit sehen zu können, das verlangt nach einer ordnenden Hand, nach Ideen, wie man die Angebotsflut in den Griff bekommt. Fernsehen ist immer weniger nur Berieselung, sondern will gestaltet werden – und sei es durch Twittern zum „Tatort“. Beim TV-Hackday wurden dann in der Tat ein paar brauchbare und teilweise lustige Ideen präsentiert, wie man das grenzenlose Fernsehen individualisieren und sich auch mal spielerisch aneignen kann.

Aufgezogen wurde die Veranstaltung wie eine Mischung aus Workshop und Startup-Gedöns, inklusive dem dazugehörigen Jargon. Verschiedene Geeks und Freaks aus dem Bereich Internetfernsehen wurden in die Räumlichkeiten der Produktionsfirma TV United am Moabiter Wikingerufer geladen und in Teams aufgeteilt. Diese sollten sich dann wie 48-Stunden-Instant-Startups schnell etwas rund ums Fernsehen ausdenken, um es am Ende in dreiminütigen Präsentationen einer Jury vorzustellen Jede Gruppe hatte unterschiedliche Inhalte oder Gadgets zur Verfügung, vom Arte-Programm bis zu Soft- und Hardware von Microsoft. Was jeden konkret erwarten würde, so zumindest die Grundidee beim „TV-Hackday“, war vorher nicht klar.

Dass es sich um eine Veranstaltung der Medienanstalt handelte und nicht um eine von Google oder sonst einer Silicon-Valley-Firma, wurde bei den Präsentationen schnell deutlich. Das Internet funktionierte mehrmals nicht, und als es dann doch ging, krachte zur Freude des Publikums ein „TV-Hackday“-Schild von der Wand. Immerhin wehte so ein Hauch von „Nerds in der Garage“ durch die Räume, was durchaus Charme hatte. Man muss den Veranstalter auch ausdrücklich dafür loben, dass er sich mit seinen Mitteln in die Startup-Welt hineinbewegt hat. Man wolle „interdisziplinär“ arbeiten lassen und den „kreativen Nachwuchs“ zu Wort kommen lassen, so MABB-Projektreferentin Anja Kienz. Und so wie all die Kreativen, Designer und Programmierer zwei Tage lang mit Ausdauer und Hingabe an ihren Projekten arbeiteten, dürften diese Ziele durchaus erreicht worden sein.

Was die acht Gruppen dann präsentierten, war recht unterschiedlich, teilweise aber auch erstaunlich. Manche Ergebnisse hinterließen bei Publikum und Jury Fragezeichen – aber es ist auch nicht so einfach, in ein paar Stunden Ideen zu entwickeln und zur theoretischen Marktreife zu bringen, ohne dass Zweifel am Endprodukt bleiben. Ein paar Präsentationen überzeugten dennoch auf Anhieb. Etwa die der Gruppe InteracTV: Sie erstellte eine Software, die es ermöglicht, aus einer Konzertaufnahme eine Mitmachnummer fürs Wohnzimmer zu generieren. Werden unter Einbezug der – fiktiven – InteracTV-Anwendung klatschende Zuschauer eines Konzerts gezeigt, muss man auch vor dem Bildschirm klatschen und bekommt dafür Punkte. Sieht man jubelnde Massen, jubelt man auch im Wohnzimmer und der Punktestand erhöht sich weiter. Während der Vorstellung sah man sich selbst schon dabei, einen Konzertmitschnitt der Gruppe Pur derart zum vollendeten Vergnügen einer Hipsterrunde zu verwandeln.

Gute, alte Zeitschaltuhr

Bei der Jury fand die charmante Idee weniger Anklang. Nicht so viel jedenfalls wie die von einer weiteren Gruppe entwickelte Anwendung, mit der man TV-Kanäle nach Schlagworten filtern kann, um dann den ganzen Tag über nichts anderes zu sehen als etwa Neues vom Oktoberfest. Den Hauptpreis der Jury erhielt die Gruppe „Till I Collapse“ mit einer modifizierten Version der guten, alten Zeitschaltuhr. Lösen soll sie ein Problem, das jeder Serienjunkie in der Netflix-Ära kennen dürfte: Man sieht eine Folge seiner Lieblingsserie nach der anderen und schläft irgendwann vor dem Fernseher ein. Am nächsten Tag hat man einen steifen Hals und weiß nicht mehr, wie viel man verpasst hat. Die drei Jungs von „Till I Collapse“ bauten die Spielkonsolen-Hardware Kinect von Microsoft um, die Bewegungen registriert. Entweder schaltet Kinect den Fernseher aus, wenn es den Wegnick-Punkt erkennt. Oder man wählt die harte Methode: Fällt der Kopf zur Seite, ertönt ein Pfeifton.

Unfug ohne kommerziellen Nutzen? Am Ende des TV-Hackdays wurde gemunkelt, Microsoft wolle mit den Nerds von „Till I Collapse“ Gespräche führen.

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