DAUMENKINO: „Utopia Ltd.“
Einer der schönsten Sätze des Films stammt vom Bassisten Basti Muxfeldt. Sein Kollege, Jonas Hinnerkort, Schlagzeuger der Hamburger Band 1000 Robota, hat soeben vor laufender Kamera verkündet, früher seien Interviews ja noch aufregend gewesen, aber heute … Die folgende rhetorische Pause beendet der schüchterne Basti mit dem knappen Einwurf: „Ich find das immer noch aufregend.“
Das Lustige an diesem kurzen Dialog aus Sandra Trostels Dokumentation „Utopia Ltd.“ ist, dass die beiden Musiker zum Zeitpunkt der Äußerung kaum volljährig sind und nur auf eine vergleichsweise kurze Karriere im Musik- und Mediengeschäft zurückblicken können. Die begann allerdings gleich beim Erscheinen ihrer ersten EP „Hamburg“ 2008 mit so großer Aufregung in der deutschen Musikpresse, dass man die juvenile Großmäuligkeit von Jonas Hinnerkort allemal als Reflex auf das hysterische Hochschreiben der 1000 Robota zur großen neuen deutschen Band in der Nachfolge der Postpunk-Legenden Gang of Four und Fehlfarben verstehen kann.
Auch Trostels eigener Film, der die Band von frühen Tagen an begleitet, wäre ohne den Hype in dieser Form wohl nicht entstanden. Dass das Trio mit den Erwartungen an sich selbst ebenfalls nicht groß hinterm Berg hält – insbesondere Sänger und Gitarrist Anton Spielmann stellt den Anspruch an die eigene zukünftige musikgeschichtliche Bedeutung gern und oft sehr deutlich heraus –, gehört zu den Konstanten des Films, in dem Trostel die drei Musiker aus nächster Nähe beobachten darf.
Die Regisseurin folgt ihren Protagonisten mit einer so diskreten Direktheit, dass sie wie ein unsichtbares viertes Bandmitglied wirkt: Angefangen bei der Unterzeichnung des Plattenvertrags bei ihrem ersten Label Tapete Records über die Arbeit am Debütalbum „Du nicht er nicht sie nicht“ bis zur Tour durch die norddeutsche Provinz mit Abstecher nach London und undankbarer Unterbringung im Hostel.
Sensationelle Einblicke in das Geschehen des Musikgeschäfts bekommt man dabei nicht unbedingt, auch wenn es immer wieder überraschende Momente gibt. Die Diskussionen der Band mit ihrem Label um die Erwähnung der Band Tocotronic in einem Song etwa werden in aller Schroffheit gezeigt, und auch die behüteten Elternhäuser bleiben den Zuschauern nicht vorenthalten. Ihre größte Stärke beweist die Dokumentation aber in den Konzertszenen. Der Druck, den die Musiker auf der Bühne erzeugen, wird mit all seiner ungestümen Wucht ins Bild gesetzt, so als stünde man selbst Publikum. Da verzeiht man der Band auch die Selbststilisierung als Speerspitze der Rebellion gegen alles – und das scheinbar grenzenlose Ego Anton Spielmanns.
TIM CASPAR BOEHME
■ „Utopia Ltd.“. Regie: Sandra Trostel. Mit Anton Spielmann, Jonas Hinnerkort, Sebastian Muxfeldt. Deutschland 2011, 90 Min.
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