: Angemessen traurig
DARK WAVE Deine Lakaien – deutsche Wertarbeit in Sachen Gothic, die man auch in China schätzt. Jetzt hat die Berlin-Münchener Institution der Düster-Szene ihr zehntes Studioalbum vorgelegt
VON THOMAS WINKLER
In wenigen Tagen werden Alexander Veljanov und Ernst Horn in die Volksrepublik China reisen, um dort im Suzhou Gelin Country Park aufzutreten. Mädchen werden für den Auftritt von Deine Lakaien, so steht zu vermuten, ihr schönstes schwarzes Kleid aus dem Schrank kramen, junge Männer untermalen ihren angemessen traurigen Blick mit einem Kajalstrich. Gesichter werden blass geschminkt werden und chinesische Eltern werden ein wenig Angst bekommen, ob der gesetzmäßig einzige Nachwuchs auf dem richtigen Weg ist.
Angekündigt werden Deine Lakaien von den Medien im Reich der Mitte als „Weltklasse-Gothic aus Deutschland“. Nun kann man, wenn es um das seit Jahrzehnten erfolgreiche Duo geht, nicht eben behaupten, dass der Prophet im eigenen Lande nichts gilt. Aber sein Ruf ist doch bei weitem nicht so gut, wie er in China oder den vielen anderen Ländern, in denen Deine Lakaien in ihrer nun schon bald drei Jahrzehnte währenden Karriere aufgetreten sind, zu sein scheint. Denn in ihrer Heimat gelten Veljanov, der Berliner mit der markanten Frisur, und Horn, das musikalische Mastermind aus München, – je nach Standpunkt des Beobachters – zwar als Institution der Düster-Szene, als einzigartiges Phänomen, aber mitunter auch bloß als einmalige Witzfiguren.
Lustige Soundideen
An diesen Einschätzungen wird auch „Crystal Palace“, das neue Album der beiden, kaum etwas ändern. Dazu sind auf der einen Seite die Meinungen mit den Jahren viel zu festgefahren. Auf der anderen bietet „Crystal Palace“ auch keine so radikale Neuorientierung, als dass es sich lohnen würde, die bequemen Vorurteile grundsätzlich zu revidieren. Deine Lakaien klingen immer noch vor allem wie: Deine Lakaien.
Das bedeutet vor allem, dass Alexander Veljanov mit seinem extrem samtigen Bariton das dann doch gar nicht so wahnsinnig breite Spektrum zwischen Kunstlied und Grabgesang abschreitet, während Ernst Horn versucht, seine Vergangenheit als ehemaliger Opernkapellmeister mit aktuellen Trends der elektronischen Klangerzeugung und lustigen Soundideen aus aller Welt zu versöhnen.
Das hat dann solch amüsante Folgen wie den Titelsong des neuen Albums, der mal klingt wie eine japanische Meditation, sich dann bei Mozart auf den Schoß setzt, auf eine Stippvisite im Techno-Club vorbei schaut, plötzlich beim Krautrock der Siebzigerjahren landet, kurz mal den Soundtrack eines Westernfilms zitiert und zum Abschluss einfach stumpf vor sich hin klöppelt. Das mag mitunter anstrengend sein, gerinnt aber nie zum Selbstzweck. Der studierte Dirigent Horn, mittlerweile 64 Jahre alt und außerdem bei den angenehm unideologischen Mittelalter-Projekten Qntal und Helium Vola aktiv, bleibt Garant dafür, dass Deine Lakaien musikalisch weit mehr zu bieten haben als das im Genre übliche Düstergeschwurbel aus tiefergelegten Electro-Beats, verzerrten Gitarren und viel Hall.
Den Gesamteindruck prägt aber weiterhin der Gesang des vor 49 Jahren in in Mazedonien geborenen Veljanov, der seine unverwechselbare Stimme schon Rockbands wie Run Run Vanguard oder auch dem Ambient-Kitsch von Schiller zur Verfügung stellte. Nörgler werden feststellen, Veljanov übertreibt es diesmal in seinem Vortrag mit der Pathetik. Wenn man ehrlich ist, hat er das aber schon immer getan. Die Übersteigerung ist – ebenso wie der feine, aber unüberhörbare deutsche Akzent – längst zum Stilmittel, ja zum Markenzeichen geworden.
Und wenn man genau hinhört, merkt man, dass der dick aufgetragene Schmalz nicht nur von kleinen musikalischen Details entschärft wird, sondern hinter der breitwandigen Ergriffenheit immer wieder ein feiner, ja sogar sarkastischer Humor aufleuchtet, der das Alleinstellungsmerkmal von Deine Lakaien geworden ist in einer nicht eben für ironische Selbstdistanz bekannten Schwarzkittel-Szene.
Zwar werden auch auf „Crystal Palace“ die Pforten zur Hölle durchschritten, die große Frage nach dem Warum gestellt und das wahre Leben im falschen gesucht. Auch andere, in der Gothic-Kultur typische Motive wie der Widerstand gegen Autoritäten und das Missverstandenfühlen von der Mehrheit bedienen Deine Lakaien. Aber bereits im Eröffnungssong „Nevermore“ hält Veljanov eine kleine Spitze bereit für jene, die es sich allzu leichtfertig in den bekannten Klischees gemütlich machen: „They say that I should better leave my dungeon that I can breathe again“, singt er da, wohlwissend, dass er selbst schon immer weltoffener war als jene, die stereotyp vermuten, die Inspiration für seine Musik stamme aus einem Burgverlies.
Treue Gefolgschaft
Diese Fähigkeit, sowohl musikalisch als auch textlich über den Tellerrand zu schauen, dürfte vor allem der Grund sein, warum es es Deine Lakaien gelungen ist, den singulären Status zu erreichen, den sie mittlerweile innehaben. „Crystal Palace“ ist zwar erst das zehnte Studioalbum seit der Gründung 1985 und erreichte auch nur Platz elf der Charts, aber Deine Lakaien waren schon immer vor allem eine Band, der es gelang, eine treue Gefolgschaft aufzubauen, indem sie ihre weitgehend elektronisch aufgenommenen Songs spannend für die Bühne aufbereiteten.
Ob nun mit einem kammermusikalischen Konzept, unterstützt von einem Orchester oder reduziert auf den Duo-Kern, ob bei der Documenta, in der Neuen Nationalgalerie oder gewöhnlichen Konzerthallen: Deine Lakaien konnten sich stets verlassen auf die Ausstrahlung von Alexander Veljanov. Dessen berühmtes Haarnest ist zwar nicht mehr so ausladend wie einst und mittlerweile durchzogen von ersten grauen Strähnen, aber weiter ein verlässliches Erkennungszeichen für intelligenten Dark Wave – selbst im fernen China.
■ Deine Lakaien: „Crystal Palace“ (Chrom/ Soulfood) Live: 5. 10., Huxleys Neue Welt, 21 Uhr
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