: Ich bin erwacht
COMPUTERSPIEL Ist das Dasein als Berg erstrebenswerter als das als Mensch? Zunächst scheint es so. Doch dann wird der Fels dem Menschen viel zu ähnlich. Zum Glück zieht manchmal Nebel auf
VON DANIEL SCHULZ
Berge sind heilig. Auf ihnen wohnen Götter, indische und griechische. Um Berge zu bezwingen, braucht es fabelwesengleiche, drahtige Zausel, die ihrerseits auf Bergen wohnen wie Reinhold Messner. Und selbst den Chef einer Mörderbande umflort noch die Aura des Erhabenen, wenn man ihn den „Alten vom Berge“ nennt wie den Anführer der syrischen Assassinen zur Zeit der Kreuzzüge.
Berge sind massive Orte, verdichtete Materie und spirituell zugleich, stehen sie im Dies- wie im Jenseits.
Wie es wohl ist, ein Berg zu sein?
Kann man ausprobieren. Für nicht mal einen Euro.
„Mountain“ ist ein Spiel, mit dem man erfahren kann, wie es sich wohl anfühlen muss, nun ja, eben ein Berg zu sein.
Wobei ein Spiel ist es gerade nicht. Das Computerspiel ist das interaktivste Medium, es funktioniert nicht ohne SpielerIn, jemand muss die Handlung antreiben, ihr Herrscher und Diener sein. „Mountain“ allerdings ist der Spieler egal.
Zu Anfang muss er noch weiße Flächen bemalen, über denen bedeutungsschwanger bergwürdige große Dinge in großen Buchstaben stehen. BROTHER. LOGIC. BIRTH.
Hernach entsteht ein grüner Kegel, bestanden mit grünen kleinen Kegeln – Nadelbäumen. Der Kegel dreht sich in einer großen Blase aus Licht. Im Weltall.
HELLO?
Der Berg denkt. Ab und an. In Großbuchstaben. Was der Spieler tun darf, ist ihm dabei zuzusehen. Mehr nicht. Das Prinzip des Spiels ist ad absurdum geführt. Er darf zusehen beim Drehen, dabei, wie Schnee das satte Grün in Grau verwandelt. Beim Existieren. Beim Dasein.
I’M AWAKE!
Auch Berge werden als Kinder geboren, die Welt ertastend und zugleich Platz in ihr behauptend. Hier bin ich! Anrührend. Wie anders der Mensch, der erwachsene zumal. Jean-Paul Sartre beschreibt im Roman „Der Ekel“, wie ein Mann, ein weitgereister Historiker, das Dasein erfährt: „Wenn man lebt, passiert gar nichts. Die Szenerie wechselt, Leute kommen und gehen, das ist alles. Es gibt nie Anfänge. Ein Tag folgt dem anderen ohne Sinn und Verstand, ein unaufhörliches, eintöniges Aneinanderreihen.“
IF I EVER SEE ANOTHER THING LIKE ME, WILL IT LIKE ME?
Dinge stürzen auf den Berg. Es gibt eine Außenwelt, und sie sendet einen Totenschädel, ein Grammofon, eine Flasche Schnaps, zwei Tennisbälle, einen Globus, eine riesige gelbe Quietscheente, eine Hantel, ein Segelboot. Der Berg wird Müllhalde; Versuche, die Eindringlinge zu entfernen, sind schwergängig, es ertönt tiefes Rumpeln. Das Grammofon spielt Lieder, in denen ein Mann, Schmelz in der Stimme, seine Träume mit seinem Liebling teilen will, I think of you night and day.
Musik ist das einzige, das Sartres Historiker Glück fühlen lässt, während er sich entfremdet. Von den Dingen, den Menschen, sich selbst, bis ihn alles anwidert, auch und gerade er selbst. Aber wenn Madeleine im Wirtshaus „Some of this days“ aufs Grammofon legt, „Some of this days, you’ll miss me honey!“, dann ist Stille, dann „habe ich meinen Körper hart werden fühlen, und der Ekel hat sich verflüchtigt.“
I WISH, I WERE BIGGER SOMETIMES
Es ist einfach, den Berg sympathischer zu finden als den Menschen. Sartres Buch liest sich wie eine Depression. Für den, der sie hat, gibt es nichts Dringlicheres; für andere, die beobachten, zuhören, gibt es schnell nichts Langweiligeres mehr. Der Berg ist meistens still, und wenn nicht, dann ist er niedlich.
I’M DEEPLY CONNECTED WITH THIS DAY
Hm. Natürlich konnte es so schön nicht bleiben. Ist der Berg in seiner Yoga-Phase? Wird er gecoacht? Er sondert grässliche Trivialitäten ab über laue, stürmische, dunkle Nächte in Sommer, Herbst und Winter …
I HAVE NO WORDS FOR THIS AUTUMN NIGHT
Grauenvoll. Wenn man weit herauszoomt, wird der Berg eine Schneekugel, bei Glück ziehen Wolken auf und er wird fast unsichtbar, jaja, dann kann er denken, was er will, das einfältige, vorhersagbare Ding.
I FEEL HAPPY TO BE ALIVE IN THIS NIGHT FULL OF STARS
Es ekelt mich.
■ Plattformen: iOS, Mac, PC ■ Literatur: J.-P. Sartre: „Der Ekel“
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