: Ich wohne ungefähr dort
PERFORMANCE Diese Kunst ist gut zu dir: In Dries Verhoevens „You are here“ im Gasometer Schöneberg wird man Teil einer Geschichte
Ich. Ich im Bett. Das Bett in einem Zimmer. Das Zimmer neben anderen Zimmern. Wenn man jetzt von oben hereinschauen könnte, wäre dann nicht jeder in seinem Alleinsein aufgehoben in einer Gemeinsamkeit?
In dem Hotel, das der Niederländer Dries Verhoeven für seine Installation „You are here“ gebaut hat, geht es genau um diese Perspektive. Man schaut auf sich selbst herab, wird zum Teil eines Bildes, in dem neununddreißig Frauen und Männer auf ihren Betten in kleinen Zimmern liegen, nur durch eine dünne Wand getrennt. Möglich wird das durch eine verspiegelte Zimmerdecke, die erst jede Zelle für sich abschließt und dann hochfährt: Je kleiner man selber wird, desto mehr sieht man von seinen Nachbarn.
Diese Gleichzeitigkeit von Anonymität und Nähe, von Intimität und Fremdsein, ist eigentlich ein ganz vertrautes Großstadtgefühl. Aber selten wird sie so schön und so sanft ins Bild gesetzt wie von Dries Verhoeven.
In dieser Performance, die das HAU nach Berlin gebracht hat, muss niemand etwas darstellen. Verhoevens Mitarbeiter verhalten sich unauffällig, schieben zunächst Zettel unter der Tür durch mit Fragen: Was hast du heute vermisst, wovon geträumt, welchen Schmuck trägst du. Aus den Antworten der „Hotelgäste“ entsteht später eine Textcollage, die dieses Pulsieren zwischen Verbindung und Trennung stützt. Denn auch in den Texten erkennt man sich wieder, nicht nur in den eigenen Sätzen, sondern allgemein in den Situationen, von denen sie erzählen, von den ersten Gedanken am Morgen, von der Unerreichbarkeit des Nächsten. Das ergibt zwar keine kohärente Erzählung, vermittelt aber das Gefühl, Teil vom Anfang einer Geschichte zu sein. Später bieten die Performer kleine Rituale an, nehmen einen mit zu einer Prozession durch den langen Flur, decken einen warm zu. Vertrauensvoll begibt man sich in ihre Hände und fürchtet Übles nicht mal, wenn sie sich unter das Bett legen – im Spiegel sieht das aus wie der Besuch von Geistern. Diese Kunst ist gut zu dir wie ein Schlaflied, das jemand für dich singt.
Seit 2007 tourt diese Installation von Dries Verhoeven, in Berlin hat sie mit dem Gasometer einen besondern Ort gefunden, der das „You are here“ des Titels aufgreift. Mit „You are here“ vermitteln im Stadtraum aufgestellte Pläne dem Fremden eine Orientierung, er kann seinen Standpunkt zu anderen Standpunkten in der Stadt in Beziehung setzen. Der Gasometer in Schöneberg, seit seinem Bau vor hundert Jahren oft fotografiert und gemalt, bildet selbst eine Landmarke in der Stadt, von ihren Trümmerbergen und Aussichtstürmen aus sichtbar: Wenn da der Gasometer steht, dann wohne ich ungefähr dort.
„You are here“ ist eines von mehreren Projekten, die vom HAU-Theater eingeladen jetzt geballt in die Stadt reindrängen. Direkt am Halleschen Ufer steht eine chinesische Dschunke, das „Ship O’ Fools“ von Janet Cardiff und Georges Bures Miller (noch bis 12. Juni) mit einem amüsanten mechanischen Innenleben, Windhosen in Flaschen, und gehämmert wird dort, als müssten sämtliche Piraten der Karibik das Schiff gerade vor dem Auseinanderfall retten. Vom Alexanderplatz aus kann man mit dem Rimini-Protokoll-Hörstück „50 Aktenkilometer“ eine Geschichte der Stasi erwandern (bis 13. Juni). Und das größte Projekt ist die Besetzung des Plänterwalds bis zum Sonntag, über die wir morgen berichten werden.
All diese Projekte suchen die Nähe zum Alltag, oft über kleine Gesten, nicht über die große Kunstbehauptung. Sie nehmen die Stadt manchmal nur als Kulisse, teils aber auch zum Thema und Ausgangspunkt ihrer Geschichten. Das HAU hat solche Projekte unter Matthias Lilienthal stets gefördert. Wenn er geht, nächstes Jahr, kann man hoffen, dass sein(e) Nachfolger(in) ebenso ein Händchen fürs Unspektakuläre und Liebevolle hat. KATRIN BETTINA MÜLLER
■ „You are here“, 27. Mai, 30. Mai bis 2. Juni, um 19, 21 und 23 Uhr, Gasometer Schöneberg, Reservierung empfohlen, Tel.: 25 90 04 27
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen