: Atommüll seit 40 Jahren unter Wasser
Offenbar fließt schon seit vielen Jahren Wasser in das Bergwerk Asse II, das seit 1967 als Atomülllager genutzt wird. Bereits am 13. Mai 1965 wurde die Bundesregierung darüber informiert. Im Wasser drohen die Atommüllfässer nun zu verrosten
VON REIMAR PAUL
Politiker wussten ganz offensichtlich schon vor mehr als 40 Jahren, dass Wasser in das später als Atommüllendlager genutzte Salzbergwerk Asse II fließt. Bereits am 13. Mai 1965 informierte ein Vertreter der damaligen Bundesregierung die Mitglieder des Bundestagsausschusses für Atomenergie und Wasserwirtschaft über Laugeneinbrüche. Eine Kopie des Protokolls der Ausschusssitzung liegt der taz vor. Bislang waren Wasserzuflüsse in die Asse erst seit 1988 bestätigt worden.
Dem Protokoll zufolge hat ein Ministerialdirigent aus dem früheren Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung den Abgeordneten im Ausschuss über den Zustand des Bergwerks Asse II und der beiden Nachbarschächte Asse I und Asse III berichtet. In Asse I sei bereits im Jahr 1906 ein Laugeneinbruch erfolgt, Asse III sei im Jahr 1911 „abgesoffen“. Im Schacht Asse II habe es ebenfalls „Laugeneinbrüche im Laufe der Zeit gegeben, und zwar aus Laugensäcken“. Weiter heißt es: „Ein schwieriges Problem sei, dass der Schacht Asse II in 300 Metern Tiefe einen Riss habe, durch den schon seit vielen Jahren Süßwasser einsickere. Sollte sich dieses Problem nicht lösen lassen, müsse die Asse II wieder abgegeben werden.“ Ausschuss-Vorsitzender war der SPD-Abgeordnete Karl Bechert, einer der ersten Vorkämpfer gegen die militärische wie auch zivile Atomkraftnutzung.
Als die Parlamentarier diskutierten, waren schon Fakten geschaffen. Im Auftrag des Bundes hatte die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF – heute: Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit) im März 1965 das Bergwerk Asse II für 700.000 DM erworben. Die Einlagerung von Atommüll begann 1967 – knapp zwei Jahre nach der erwähnten Ausschusssitzung und gegen das einmütige Votum des Wolfenbütteler Kreistags, des DGB und weiterer Organisationen wie der Braunschweiger Handwerkskammer. Bis Ende 1978 wurden rund 125.000 Fässer mit schwach und weitere 1.300 Fässer mit mittelradioaktiven Abfällen zu „Versuchszwecken“ in das Bergwerk gebracht. Auch etwa elf Kilogramm des hoch giftigen Stoffes Plutonium liegen dort vergraben.
Der Betreiber GSF hat nach eigenen Angaben keine Kenntnis von dem Bundestagsprotokoll und den darin beschriebenen frühen Wasserzutritten. „Davon weiß ich nichts, dazu kann ich nichts sagen“, erklärte Sprecher Heinz-Jörg Haury auf Anfrage. Es sei zwar „irgendwann in den 1970er Jahren“ Lauge in das Endlager gesickert, dieses Leck habe jedoch schnell abgedichtet werden können. Nach Einschätzung des GSF-Forschungszentrums stehen die Nachbarschächte Asse I und III zudem in keiner direkten Verbindung mit dem Endlager Asse II.
Bislang hatten Betreiber und Behörden stets behauptet, dass erst seit 1988 salzhaltige Lauge in das Endlager dringt. Täglich sind es 12,5 Kubikmeter. Die Quelle für die Zuflüsse ist unbekannt. Wenn diese Zeitangabe stimmte, wäre das schlimm genug – Anwohner und Umweltschützer warnen nämlich davor, dass die Gruben volllaufen, die Atommüllfässer rosten und die radioaktiven Stoffe an die Umwelt gelangen könnten. Auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte die Laugenzuflüsse bei einem Besuch im Bergwerk Ende April als „großes Problem“ bezeichnet. Niemand könne ausschließen, dass noch mehr Wasser in das Lager fließe.
Das Göttinger „Anti-Atom-Plenum“, das das Bundestagsprotokoll ausgegraben hat, bewertet das Dokument als brisanten Fund. „Das sind skandalöse Fakten, die nun ans Licht kommen. Das Endlager hätte 1967 nie und nimmer in Betrieb gehen dürfen“, sagte ein Sprecher der Gruppe zur taz. Die Laugenzuflüsse seien damals schon zwei Jahre bekannt gewesen, aber im Genehmigungsverfahren offenbar verschwiegen worden. Das Bergwerk wurde damals als „Versuchsendlager“ bezeichnet. Deshalb gab es auch kein atomrechtliches, sondern lediglich ein bergrechtliches Verfahren.
Um den Atommüll dauerhaft zu verwahren, will GSF das Bergwerk mit Schichten aus Salz und Schotter, einem Spezialbeton und Bitumen füllen. Am Schluss sollen die Stollen und Schächte mit einer gesättigten Magnesium-Chlorid-Lösung geflutet werden. Sie soll das Bergwerk stabilisieren und wegen höherer Dichte den Zutritt von Frischwasser verhindern. Bürgerinitiativen und kritische Wissenschaftler wie der Göttinger Chemie-Professor Rolf Bertram halten insbesondere die Flutung jedoch für „Wahnsinn“. Sie fordern eine Lösung, bei der die Fässer gegebenenfalls wieder ausgegraben werden können.
Auch über das juristische Verfahren zur Schließung gibt es bekanntlich Streit. GSF hat beim Land Niedersachsen eine Stilllegung nach dem Bergrecht beantragt. Umweltschützer verlangen dagegen ein atomrechtliches Verfahren, bei dem auch die Öffentlichkeit beteiligt wird. Eine Tischlerin aus einer Nachbargemeinde will die Schließung nach dem Atomrecht gerichtlich erzwingen (taz berichtete).
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