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Frisches Geld aus Europas Töpfen

20.000 Lobbyisten suchen in Brüssel Einfluss. Berlin und Brandenburg sind mit Ländervertretungen und einer gemeinsamen Wirtschaftsrepräsentanz dabei. Ihr Einsatz zahlt sich aus – milliardenfach

AUS BRÜSSEL RICHARD ROTHER

An der Place Ambiorix im EU-Viertel von Brüssel residiert die Berlin-Brandenburger Wirtschaft. Zu Hause oft in Konkurrenz zueinander, haben sich die Unternehmer der beiden Bundesländer hier zu einer gemeinsamen Vertretung zusammengeschlossen – in einem kleinen, schick sanierten Altbau, in dessen Vorgarten Rosen wachsen. Aus dem ersten Stock hat man einen schönen Blick: über den gepflegten Rasen auf dem Platz und auf die Glaspaläste der EU-Behörden. Dem Treiben dort gilt alle Aufmerksamkeit. Dort werden Richtlinien ersonnen, die das Leben und Wirtschaften prägen, dort werden unzählige Förderprogramme erdacht, die Geld in die heimatliche Region bringen könnten. „Unsere Kernkompetenz ist: Wir wissen, wie Europa funktioniert“, sagt Peter Siebert. Zusammen mit seinem Kollegen Jörn Exner leitet er die Wirtschaftsrepräsentanz Berlin-Brandenburg.

Horchposten in Brüssel

Siebert und Exner sind zwei von 20.000 Lobbyisten in Brüssel. Um die Wirtschaftsinteressen der deutschen Hauptstadtregion zu vertreten, halten sie die Präsenz vor Ort für unabdingbar: „Wir brauchen einen Horchposten in Brüssel“, sagen sie. Warum? René Gurka, Geschäftsführer der Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner hat darauf eine einfache Antwort: „Weil alle anderen es auch machen.“ Und weil es nur so langfristig die Chance gebe, an europäische Gelder heranzukommen.

Immerhin rund 1,3 Milliarden Euro haben die europäischen Strukturfonds Berlin zwischen 2000 und 2006 gebracht. In der neuen Förderperiode von 2007 bis 2013 werden es rund 1,1 Milliarden Euro sein. Heute unterzeichnen im Bayerischen Hof Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und die EU-Regionalkommissarin Danuta Hübner die sogenannten Nationalen Strategischen Rahmenpläne über die Ausgestaltung der Regionalförderung bis 2013. Insgesamt darf Deutschland mit rund 20 Milliarden Euro rechnen, ein Großteil davon fließt nach Ostdeutschland und Berlin.

Hier sind viele Projekte in den Kiezen, aber auch kleine und mittlere Unternehmen dringend auf Fördermittel angewiesen. Nur durch die EU-Hilfen lassen sich oft die soziale Infrastruktur oder Arbeitsplätze erhalten. Beispielsweise erhielt das Kreuzberger Projekt Protection 8.000 Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Entstanden aus den Erfahrungen mit den Krawallen am 1. Mai, sollen die teilnehmenden Jugendlichen in einem berufsvorbereitenden Training lernen, Verantwortung für den Kiez zu übernehmen und sich auf einen Job im Sicherheitsgewerbe vorzubereiten.

Deutlich mehr – nämlich 4,1 Millionen Euro – steuerte der EU-Landwirtschaftsfonds EAGFL dem Projekt „Wuhlewanderweg“ bei, mit dem der Nord-Süd-Grünzug Wuhletal in Hellersdorf erschlossen wurde. 19 Kilometer Wanderweg mit Querverbindungen sowie Ruhe- und Aufenthaltsplätzen hat man hier angelegt, besondere Aussichtspunkte künstlerisch gestaltet. Ebenfalls viel Geld in die Natur investiert die EU im Spandauer Ortsteil Staaken. Für 1,8 Millionen Euro wurde hier das Natur- und Landschaftsschutzgebiet Fort Hahnenberg ausgebaut: Wanderwege und ein Naturlehrpfad entstanden, Wiesen und Gehölze wurden gepflegt. Und knapp eine Million Euro steuerte die EU zur Unterstützung des Transnationalen Technologie-Netzwerks bei, das sich vor allem auf Wirtschaftskontakte nach Polen, Südschweden, Lettland und Litauen spezialisiert hat.

Dass der Geldsegen für die Hauptstadtregion anhält, dafür engagieren sich neben der Wirtschaftsvertretung auch die beiden Landesvertretungen von Berlin und Brandenburg in Brüssel. „Informelle Gespräche sind Gold wert“, heißt es unter Brüsseler Lobbyisten. Schon jetzt beginne man mit den vorbereitenden Diskussionen, wie die nächste Förderperiode ab 2014 gestaltet werden müsse. Hintergrund: Durch die neuen, ärmeren EU-Mitglieder in Ost- und Südosteuropa könnten sich auch die Förderschwerpunkte verschieben.

Zähes Lobbying hat Erfolg

Über 2014 hinaus denkt auch Peter Siebert von der Wirtschaftsrepräsentanz. Schon jetzt liefen die Vorbereitungen für das nächste Forschungsrahmenprogramm. Wie zäh aber auch erfolgreiches Lobbying sein kann, habe die Diskussion um das laufende Forschungsrahmenprogramm gezeigt. Ein Jahr Diskussion mit Beamten und Abgeordneten habe es bedurft, um einen „wichtigen Spiegelstrich“ in das Programm aufnehmen zu lassen. Er lautet: „Die Komplementärmedizin kann gefördert werden.“ Damit seien etwa auch Projekte mit homöopathischen Ansatz grundsätzlich förderfähig, freut sich Siebert. Ohne diesen Satz wäre das nicht möglich.

Rund 400.000 Euro jährlich kostet die Wirtschaftsvertretung der Hauptstadtregion in Brüssel. Bis zu 80 Prozent davon kann sie selbst erwirtschaften – durch Vermietung von Büroarbeitsplätzen für interessierte Firmen oder durch Beratungstätigkeiten. Immerhin knapp 1.000 Euro kostet ein Beratungstag an der Place Ambiorix. Aber wenn ein Vielfaches an Fördermitteln oder eine gezielte Interessenvertretung dabei herauskommen, kann sich das für ein Unternehmen durchaus lohnen: Schering, Vattenfall, die BVG, Velotaxi, die Berliner Flughäfen und Berlinwasser zählen die Brüsseler zu ihren Kunden.

Mindestens einem Berliner in Brüssel geht es nicht in erster Linie ums Geld, sondern um die politische Gestaltung der Gemeinschaft: „Ich bin nicht der Raffke, der jeden Euro für Berlin zusammenkratzen will“, sagt der Grünen-EU-Abgeordnete und Verkehrspolitiker Michael Cramer. Eine gute europäische Politik nütze auch der deutschen Hauptstadtregion am meisten. Dazu müsse aber Schluss sein mit einer bei deutschen Politiker beliebten Marotte: Alles Gute will man selbst erreicht haben, alles Schlechte schiebt man auf Brüssel, so Cramer. „Das schadet dem Projekt Europa.“

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