sozialbericht: Wir brauchen eine Neiddebatte
Über Geld zu reden, gehört sich nicht. Es schürt Neid und der hilft den kleinen Leuten nicht, findet Sozialminister Karl-Josef Laumann. Diese Einstellung liegt im Trend. Geht es um Armut, wird über Bildung diskutiert. Darüber, wie Kinder frühstmöglich außerhalb ihrer prekären Familien gefördert werden können und wie der ach-so-arme Staat das alles bezahlen soll. Das sind wichtige Themen. Die Debatte um die nackten Zahlen dürfen sie trotzdem nicht verdrängen: Ein Fünftel der Bevölkerung in NRW besitzt fast das gesamte Privatvermögen und verdient monatlich 31,5 Prozent des Einkommens. Daneben leben 2,6 Millionen Menschen in Armut – ohne Vermögen, meistens von 345 Euro monatlichem Hartz IV, für ihre Kinder ist 2,50 Euro Schulessensgeld zu teuer. Auf die 3.192 Einkommensmillionäre sind diese Menschen sicherlich neidisch. Zu Recht.
KOMMENTAR VON MIRIAM BUNJES
Seit die Mehrwertsteuer erhöht wurde, geben sie noch mehr ihres wenigen Geldes aus. Wer hingegen einen millionenschweren Betrieb erbt, muss bald keine Erbschaftssteuer mehr bezahlen. Das kann man Neiddebatte nennen, viel zutreffender wäre allerdings Gerechtigkeitsdebatte. Der Sozialbericht NRW ist ein Anlass, sie zu führen. Er zeigt deutlich: Die Armen werden ärmer, die Reichen werden reicher. Das überrascht weder Politiker noch Wissenschaftler.
Diskutiert wird die Verteilungsgerechtigkeit trotzdem kaum: Vermögenssteuern gelten als altsozial und konjunkturbremsend, Mehrwertsteuererhöhung als notwendige Haushaltskonsolidierung. Ohne die Reichen zur Kasse zu bitten, bleibt dann nur ein Weg aus der Armut: Die Armen müssen sich ändern, Jobs finden, ihren Kindern ein Studium finanzieren. Dass das nicht funktioniert, haben NRWs Statistiker erneut eindrücklich dokumentiert.
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