: Den Wahnsinn genießen
Dieses Konzert handelt von Überwältigung, von der Wonne, sich im Independent-Woman-Themenpark zu verlieren: Beyoncé mit ihrer zehnköpfigen Frauenband in der Max-Schmeling-Halle
VON TOBIAS RAPP
Wie mag es sich wohl anfühlen, Beyoncé zu sein? Ja, sie ist einer der großen, globalen Superstars und wird ihre Techniken haben, mit all dem Wahnsinn zu leben, der mit solch einem Dasein einhergeht. Doch trotzdem, wenn man sie so sah, Sonntagnacht am Schluss ihres Konzerts in der Max-Schmeling-Halle, wie sie auf der Bühne stand und minutenlange Ovationen entgegennahm, sprachlos zunächst, bis sie die Hände zu einem Herz formte und an ihre Brust führte, da wunderte man sich schon ein bisschen: Kann man sich an solche Intensitäten wirklich gewöhnen? Was macht man eigentlich danach? Geht man nach einer solchen Show einfach ins Bett? Kann man solche Momente abschminken wie das Bühnen-Make-up?
Zumal sie ja jeden Abend vorkommen dürften. Denn so großartig das Konzert in seiner ganzen Durchgedrehtheit war: Das Grandiose an Beyoncé ist ja nicht, was sie macht, wie sie tanzt etwa, singt oder läuft. Ihr größtes Kunstwerk ist sie selbst. Darauf läuft alles hinaus: die „Beyoncé Experience“, wie ihre Welttour so wunderbar passend überschrieben ist. Und das will performt werden.
„Sasha“ nennt Beyoncé die Person, in die sie sich verwandelt, wenn sie die Bühne betritt. Und wie sie mit „Crazy In Love“, ihrem größten Hit (und immer noch einer der besten Singles der Nullerjahre) den Abend begann – interessant aufgelockert durch Vermischung mit „Crazy“ von Gnarls Barkley übrigens (der anderen großen Single der Nullerjahre) – also, wie sie aus dem Bühnenboden auftauchte, um dann die Freitreppe heraufzurucken und zu zucken, die die riesige Bühne ausfüllte, da glaubte man ihr bei genau dieser Tranformation zuschauen zu können.
Und dann ging es los. Fast zwei Stunden dauerte das Konzert, Beyoncé wurde von einer zehnköpfigen Band begleitet, alles Frauen, die einem in dem Funkrock-Gebrodel, mit dem sie ihre Songs bevorzugt spielten, ein wenig vorkamen wie die Brides of Funkenstein, eine P-Funk-Girl-Group aus den Siebzigern. Zumal sie ähnlich gefährlich aussahen: Die Gitarristin war über und über tätowiert, und auch den zwei Schlagzeugerinnen würde man durchaus zutrauen, ihre Bierflaschen mit den Zähnen aufzumachen.
Das Programm klappert eben so unsystematisch wie überwältigend die Karriere von Beyoncé ab, immer durch passende Kostümwechsel begleitet. Da gibt es den Destiny’s-Child-Block, in dem sie sich durch die Hits ihrer Zeit als Leadsängerin der erfolgreichsten Girl Group der vergangenen zwanzig Jahre bewegt. Es gibt die Abteilung „Dreamgirls“, jenen Musicalfilm vom vergangenen Herbst, in dem Beyoncé die Sängerin Deena spielt, eine Figur, die sich lose an der Biografie von Diana Ross orientiert. Deren Karriere bildet in einer hübschen Doppelung wiederum das Vorbild für den Werdegang von Beyoncé selbst. Und sie spielt ihre eigenen Stücke – wobei es festzuhalten gilt, dass diese nicht wirklich an die Größe der Destiny’s-Child-Hits heranreichen. Egal, darum geht es nicht.
Um noch etwas anderes geht es übrigens auch nicht: Männer. Nicht nur, dass das Publikum zu mehr als 90 Prozent aus Mädchen besteht, die gesamte Kommunikation ist auch ausschließlich auf sie ausgerichtet. Sexyness ist hier nichts, was sich primär an einen Mann richten würde, es ist zuallererst Selbsttechnik, um durch den Alltag zu kommen, Empowerment-Strategie. Wenn es Männern gefällt – umso besser. Der Abend kommt aber ganz gut ohne sie aus (wenn man einmal von den vier unfassbar gut aussehenden Tänzern absieht, die ab und zu maskiert aus der Kulisse hervorspringen, ihren Oberkörper zeigen und wieder verschwinden). Es geht um Fantasien. Man könnte sich einmal ein „freaky dress“ anziehen, man würde gerne mal für eine Nacht ein „naughty girl“ sein.
Aber dann: das blanke Erstaunen, der direkt ins Herz gehende Schock. Auf dem Höhepunkt der Balladenabteilung fängt Beyoncé an zu weinen. Wobei weinen schon zu viel gesagt ist. Eine kleine Träne kullert die Wange herunter. Wie macht man das? Das muss man nicht nur ernst meinen und wirklich fühlen, man muss auch darauf achten, dass die Träne genau von der Mitte des Auges aus runterkullert, damit sie das Make-up nicht ruiniert. Und über alldem muss man darauf achten, dass sie die in der richtigen Sekunde am Kinn hängen bleibt, damit die Kamera sie für die Übertragung auf die Leinwände mitnehmen kann. Weil gleich von hinten der über und über mit riesigen weißen Federn ausstaffierte Engel kommt, um einen tröstend zu umarmen, das darf man auch nicht vergessen.
Es ist das ganz große Spektakel, vor dem jede Kritik versagt. Dieses Konzert handelt von Überwältigung. Es handelt davon, sich in diesen „Independent Woman“-Themenpark hineinzubegeben, sich all dem Wahnsinn freudig an den Hals zu schmeißen. Von der Jamba-Werbung, die vor Beginn von den Leinwänden für Beyoncé-Klingeltöne wirbt, bis zum Schluss, als Beyoncé zurück hinter die Bühne ruckt und zuckt. Um sich wieder in einen Menschen zu verwandeln, wahrscheinlich.
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