: Kein Skandal im Sperrbezirk
Kultur im Puff war in Köln nicht erwünscht. Die wilden Nächte bei „Sommerblut“ fanden im Theaterhaus statt
Sessel aus tiefrotem Knautschleder stehen unter Palmenwedel. Dahinter glitzern golden und pink schwere Vorhänge. Vom Pianisten erklingt, leicht jazzig intoniert, das alte Hans-Albers-Stück. Doch nicht auf der Reeperbahn nachts um halb eins spielt die Szene, sondern im Kölner Theaterhaus. Im Kölner Theaterhaus? War da nicht eine andere Location im Gespräch?
Einen Skandal im Sperrbezirk witterten im Vorfeld der Eröffnung des Internationalen Kulturfestivals „Sommerblut“ in Köln sowohl Bild-Zeitung, Emma als auch Radio Vatikan. Jene Veranstaltung mit dem Titel „Wilde Nächte“ sollte ein literarisch-musikalischer Streifzug durchs Milieu werden und dort auch stattfinden. Das „Pascha“, laut Eigenaussage „Europas größtes Laufhaus“, war als Ort vorgesehen. Doch es kam anders. Der WDR als Mitveranstalter wollte plötzlich zur eigenen Planung nicht mehr stehen und sorgte dafür, dass der Abend in sittlicher Umgebung stattfand.
Jetzt, nachdem die wilde Nacht in gezähmtem Ambiente über die Bühne gegangen ist, bleibt die Frage: Wäre die Veranstaltung besser im Partyraum eines 10-stöckigen Bordells aufgehoben gewesen als in einem Theater? Thematisch passte das literarische Material zwar zum Thema „Käufliche Liebe“, die Darstellungsform allerdings, so steht zu befürchten, war in weiten Teilen viel zu brav, anspruchsvoll und intellektuell, als dass man eine Verbindung zu dem Betrieb des Kölner Sex-Discounters hätte herstellen können. Doris Kunstmann und Bodo Primus mühten sich, dem Text von Stefan Zweig eine gewisse Anrüchigkeit zu verleihen. Es klang aber mehr nach WDR-5-Hörspiel als nach prallem Leben. Andererseits, Claude-Oliver Rudolph schnarrte und rülpste den Text von Charles Bukowski so ins Mikro, dass man fast glauben konnte, der Altmeister ekliger Poesie wäre wieder lebendig geworden und hätte sogar die deutsche Sprache gelernt. Auch schon etwas pulssteigernd war Nessi Tausendschöns Version von „Je t‘aime“. Ein Grunzen, ein Quieken, ein Schreien war zu hören, während sich die Schöne auf einem Sofa räkelte und verrenkte. Dann aber kippte die Darstellung ins Komische. Und ob Komik in ein Bordell unserer Zeit gehört, bleibt die Frage.
Der Moderator des Abends, Herbert Feuerstein, resümierte: „Wir wollten im Puff kein neues Lesepublikum gewinnen. Es ging eher darum, an einem Tatort die Veranstaltung durchzuführen.“ Das böse Nachtleben von Köln als Kulisse. Warum aber sollen die Frauen, die im Pascha arbeiten, nicht an Literatur interessiert sein? Warum kann man im Milieu nicht ein neues Lesepublikum gewinnen? Prostituierte und Freier säßen Seite an Seite mit Kulturbeflissenen bei einem Vortrag eines Textes von Thomas Mann und eines Liedes von Jürgen Drews. Nun gut, manche Kombination ist schwer vorstellbar. Auf der Homepage des Sex-Unternehmens ist zu sehen, wie das zumeist männliche Publikum Tänzerinnen Geldscheine in die spärlich vorhandene Kleidung steckt. Wie vertragen sich solche seltsamen Kerle mit Liebhabern der Literatur der Zwanziger Jahre? Zumindest hätte es durchaus einem aufklärerischen Ziel gedient, dem literarischen Publikum ein Bordell von innen zu zeigen. Die Enttäuschung vieler wäre groß gewesen. Weder das romantisch verklärte Freudenhaus noch das bestialische Frauengefängnis wäre sofort zu erkennen gewesen. Die Diskussion, die vorab von Klerikalen, Frauenbewegten, Bordellbetreibern und Kulturmanagern geführt wurde, hätte man in dieser Umgebung sicherlich konstruktiver und vielleicht sogar mit Beteiligung von Prostituierten fortsetzen können.
Aber all das war von „Sommerblut“ und „Pascha“ nicht gewollt gewesen. Es steht zu befürchten, dass durch die geplante Zusammenarbeit nur ein Skandal inszeniert werden sollte. Vielleicht war die Planung, die „Wilden Nächte“ im Bordell stattfinden zu lassen, nur ein PR-Coup für beide Beteiligte. Désirée Nick, Kabarettistin und RTL-Dschungelcamp-Königin, erklärte inzwischen, dass sie ihren geplanten Auftritt bei „Sommerblut“ absagt, weil die Eröffnung des Kulturfestivals nicht im Bordell stattfand. LUTZ DEBUS
Sendung auf WDR 5: 28. Mai, 15:05 Uhr
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