: G-8-Gegner trainieren Sitzfleisch
Vor dem G-8-Gipfel üben im Görlitzer Park 250 Menschen gewaltfreie Blockadetechniken. Echte Polizisten lassen sich nicht blicken, dafür sind die Teilnehmer von Journalisten umstellt. Es zeigt sich: Spontaner Protest kann ziemlich bürokratisch sein
Es gibt ein breites Angebot an Vorbereitungstreffen und Aktionen, hier steht nur eine Auswahl. Heute startet der „G 8 Convergence Space“ mit Infopunkten, Trainings und Workshops in linken Zentren und auf der Straße. Kontakt über mail.cc_berlin@ nostate.net. Am 23. Mai gibt’s im Bethanien am Kreuzberger Mariannenplatz Infoveranstaltungen zu Polizeistrategien und Repression. Attac veranstaltet am 24. Mai um 19 Uhr im Mehringhof eine Diskussion zum Thema „Was heißt Energiesicherheit à la G 8?“. Am 30. Mai organisieren die Globalisierungskritiker um 19.30 Uhr im Grips Theater eine Diskussion zu „G 8 im Gegenwind – ein Auftakt“ mit Chico Whitaker, Träger des Alternativen Nobelpreises (www.attacberlin.de). Eine Demonstration gegen die Bildungspolitik der G 8 findet statt am 26. Mai, 15 Uhr, Lausitzer Platz (www.26-mai.de.vu). Weitere Infos auf der Seite des G-8-Vernetzungstreffens: www.move againstg8.de TAZ
VON JENS GRÄBER
Polizisten versuchen, eine Sitzblockade aus rund 30 Protestierern aufzulösen. Dorothea Härlin, 60 Jahre alt und pensionierte Lehrerin, möchte das durch „deeskalierendes Streicheln“ verhindern. Immer wenn die Beamten jemanden aus der Gruppe wegtragen wollen, berührt sie sie sanft und redet ruhig auf sie ein: „Lassen Sie doch den Mann in Ruhe. Haben Sie heute nichts Besseres zu tun? Demonstrieren Sie doch mit uns.“ Aller Deeskalation zum Trotz gelingt es der Polizei, die Blockade aufzulösen. Die Demonstranten nehmen das gelassen – schließlich handelt es sich nur um ein Rollenspiel.
Rund 250 Gegner des G-8-Gipfels sind nach Angaben des Veranstalters, der Kampagne „Block G8“, an diesem Samstagnachmittag in den Görlitzer Park in Kreuzberg gekommen, um dort das richtige Verhalten bei gewaltfreien Massenblockaden zu trainieren – wie sie auch rund um den Gipfel in Heiligendamm Anfang Juni geplant sind. Ziel der Übungen sei es, Ängste abzubauen und die Entscheidungsfindung in Gruppen zu trainieren, erklärt Martin Schmalzbauer von Attac. Auch wenn keine echten Polizisten erkennbar anwesend sind – unbeobachtet fühlen sich die Gipfelgegner nicht: Das Medieninteresse ist enorm. Etwa zehn Kamerateams sind vor Ort, dazu 20 Fotografen und etliche Printjournalisten. Grund ist die bundesweite Razzia gegen vermeintliche G-8-Kritiker vor zwei Wochen. Und vor zehn Tagen hatte die Polizei eine ähnliche Übung des Linkspartei-nahen Jugendverbands Solid in einem Lichtenberger Park aufgelöst.
Unter den Teilnehmern der Übung sind Anfänger wie Nico. Der 28-Jährige hat noch an keiner Blockade teilgenommen, will aber bei den G-8-Protesten dabei sein. Michael und Julia dagegen erzählen, sie hätten schon bei Protesten gegen Castor-Transporte mitgemacht.
Als Erstes sollen die Gipfelkritiker lernen, „Bezugsgruppen“ von bis zu 15 Personen zu bilden: Sie sollen immer zusammenbleiben, jeder müsse auf die anderen achten. Jede Gruppe wählt einen Sprecher, der mit denen der anderen Gruppen die Entscheidungen trifft. So weit die Theorie.
„Ich glaube nicht, dass das im Ernstfall so funktioniert“, sagt Nico. Er findet das alles „sehr bürokratisch“. Der Castor-erprobte Aktivist Michael hält den Ablauf zwar für sinnvoll, ist aber davon irritiert, dass der Rat der gewählten Sprecher nicht einmal bei den Trockenübungen zu einer Entscheidung kommt.
Bei den anschließenden Blockade-Rollenspielen üben die Teilnehmer neben dem Streicheln auch Techniken wie das „Sich-schwer-Machen“. Dabei lassen die Blockierer alle Gliedmaßen schlaff hängen und sind so schwieriger abzutransportieren.
Regelrecht umzingelt fühlen sich viele Teilnehmer von den Vertretern der Presse. Mit einem derart großen Medieninteresse haben viele nicht gerechnet. Michael, der gerade trotz Deeskalationsstreicheln von den unechten Polizisten – ein äußerst unbeliebter Job an diesem Nachmittag – weggetragen wurde, zeigt sich genervt. „Man kommt sich ein wenig vor wie im Zoo“, sagt er. „Ich werde die Organisatoren ansprechen, ob wir das noch einmal unter uns üben können“, sagt Dorothea Härlin.
Beide glauben trotzdem, dass das Training dazu beigetragen hat, dass der sanfte Protest beim G-8-Gipfel ein Erfolg wird. „Man muss das immer wieder üben, das ist wie mit einem Erste-Hilfe-Kurs“, findet Michael.
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