KUNSTRUNDGANG: Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um
Eine Million fünfhundertfünfzigtausend Euro kostet „Capital Vanity (Urban Bourbon)“, 1991, von Robert Rauschenberg. Mit dem Titel scheint sich der Meister seinen eigenen ironischen Reim auf die Eitelkeit gemacht zu haben, die er in seiner Siebdruckcollage städtischer Architektur auf verspiegeltem Aluminium feiert, ausladend, als ideale Investition für einen Bauunternehmer oder Immobilientycoon. Die meisten der anderen ausgestellten Werke sind denn auch interessanter – wenn auch nur wenig preiswerter. Doch noch immer ist auch im Spätwerk der Drive von Rauschenbergs frühen „Combines“ zu spüren. Der Bruch mit dem Gemälde herkömmlicher Art, mit der Abstraktion, die Wiedereinführung des Gegenstands, allerdings gleich als dreidimensionales und dazu triviales Alltagsobjekt, hakt noch immer ein; die schöne, aufrührerische Idee, die Gegenwart ganz anders zu sehen und zu beschreiben, die in den 60er-Jahren noch denkbar war.
Früher war eben alles anders. Früher waren auf Hellen van Meenes Porträtaufnahmen häufiger kleine Kniffs zu finden wie ein Pullover, der so über Körper und Arme gestülpt war, dass die Ärmel leer herabbaumeln. Inzwischen hält sich die holländische Fotografin (Jg. 1972) mit derlei subtilen, doch treffenden Inszenierungen zurück. Früher kennt man nur aus Schirmer/Mosel-Bänden. Denn in Berlin sind ihre Werke nun erstmals zu sehen. Dafür sind die Situationen, in denen sie pubertierende Mädchen und androgyne Jungen aufnimmt, abwechslungsreicher geworden. Sie fotografiere schneller, unkomplizierter, sagt sie. Dennoch bewahren ihre Porträts den Moment eines undefinierbaren Unbehagens, der sich beim Betrachten einstellt. Denn noch immer entdeckt van Meene jene fehlerhafte Schönheit, die derart zu irritieren vermag. Früher war eben alles anders.
Robert Rauschenberg, selected works 1974–1999: bis 10. 6., Di–Fr 11–19, Sa 10–14 Uhr, Galerie Michael Schultz, Mommsenstr. 34 Helen van Meene, Portraits: bis 6. Juli, tägl. 10-20 Uhr, c/o Berlin, Oranienburger/Ecke Tucholskystr.
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