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ANSCHLÄGE IN ANKARA: DER TÜRKEI DROHT DAS CHAOS DER 90ER JAHREGewalt und Gegengewalt

Die Abwärtsspirale in der Türkei dreht sich weiter. Nach der Blockade der Präsidentschaftswahlen, der Putschdrohung und der damit einhergehenden Schwächung der demokratischen Institutionen scheint nun auch die ethnische Auseinandersetzung zwischen der separatistischen kurdischen PKK und dem Militär einem neuen Höhepunkt zuzustreben.

Noch ist der Hintergrund des Attentats in Ankara nicht wirklich aufgeklärt, noch hat sich auch keine Organisation dazu bekannt, doch sollte sich bestätigen, dass der Selbstmordattentäter im Auftrag der PKK handelte, steht eine weitere Eskalation zu befürchten. Sowohl Ministerpräsident Erdogan als auch Armeechef Büyükanit bereiten die Bevölkerung bereits darauf vor, indem sie ankündigten, man müsse jetzt in allen größeren Städten des Landes mit vergleichbaren Terrorakten rechnen. Gleichzeitig verstärkt das Militär die Repression im kurdisch besiedelten Südosten des Landes.

Von den vor zwei, drei Jahren eingeleiteten demokratischen Reformen für die kurdische Minderheit ist im Alltag nicht mehr viel übrig geblieben. Die kurdische Sprache wird weiterhin diskriminiert, gewählte kurdische Bürgermeister werden andauernd mit politischen Prozessen überzogen und die Menschen in ihrem wirtschaftlichen Elend sich selbst überlassen. Mit bürokratischen Schikanen versucht man zu verhindern, dass unabhängige kurdische Abgeordnete ins nächste Parlament gewählt werden. All das nutzt vor allem der PKK, die kein Interesse an einer Befriedung und demokratischen Normalisierung im Südosten der Türkei hat, weil das ihren Einfluss schmälert.

Die PKK hat auf die härtere Gangart des Staates längst reagiert und den Krieg seit einem Jahr wieder intensiviert. Nach dem Attentat in Ankara wird das Militär nun wahrscheinlich genau in die PKK-Falle tappen und die Repressionsschraube weiter anziehen. Dadurch werden zwar keine weiteren Attentate verhindert, sondern im Gegenteil mehr junge Kurden auf die Berge getrieben. Derzeit scheint es in der Türkei aber keine politische Kraft zu geben, die die Eskalation stoppen kann. Die Rückkehr zum Chaos der 90er-Jahre scheint kaum noch aufzuhalten zu sein. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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