: Vergangenheitsbewältigung ist kein Verwaltungsakt
DOKUMENTARFILM „Impunity – Kolumbien, ein Land im Krieg“ nimmt Partei für die Opfer des bewaffneten Konflikts
Geschont wird hier niemand, weder die zahllosen Opfer des bewaffneten Konflikts in Kolumbien noch die Zuschauer im geschützten Raum des Kinos. Das macht gleich die Eröffnungssequenz des Dokumentarfilms „Impunity – Kolumbien, ein Land im Krieg“ deutlich, in der eine etwa 30 Jahre alte Frau bildhaft und unter Schluchzen erzählt, wie Paramilitärs ihrem zwölf Jahre alten Bruder den Kopf abschnitten: „Das ist wie ein Film, der immer und immer wieder abläuft.“
Diesmal soll der Film immer und immer wieder ablaufen – aus der Perspektive der Opfer, deren Partei in Kolumbien selten ergriffen wird und deren Bilder im kollektiven Gedächtnis des Landes kaum existieren. Die Regisseure, der kolumbianische Journalist Hollman Morris und der schweizerisch-kolumbianische Dokumentarfilmer Juan José Lozano, begleiten mit ihrem Film einen Prozess, der vor sechs Jahren einsetzte. Rund 33.000 Paramilitärs wurden damals offiziell demobilisiert. Sie sollten ihre Waffen niederlegen, ihre Taten gestehen und dafür eine Strafe von maximal acht Jahren bekommen. 150.000 Morde und knapp 50.000 Verschwundene werden ihnen zur Last gelegt, nur wenige hundert Paramilitärs sind bislang angeklagt.
Chronologisch montiert der Film zunächst Archivmaterial von massakrierten Körpern und Blutlachen auf dem Basketballplatz eines Dorfs. Er zeigt, wie inmitten des zugewucherten Dschungels Leichen exhumiert werden und Angehörige mit verzerrten Gesichtern in die Gruben starren. Und schließlich, wie Paramilitärs verhört und die Verhandlungen per Videoleinwand in abgelegene Dörfer übertragen werden. Dort sehen Hunderte Angehörige der Opfer stundenlang in brütender Hitze zu. Bei den Verhandlungen sind die Zivilisten zum Teil so schwer traumatisiert, dass sie kein Wort herausbringen, wenn sie den Angeklagten eine Frage stellen können. Diese wiederum können sich scheinbar kaum an ihre Taten erinnern. In den Fernsehnachrichten werden nur die Sprecher gezeigt, die die Verhandlungen flüchtig zusammenfassen und im Film merkwürdig distanziert wirken.
Während die Regierung noch unter dem rechtskonservativen Präsidenten Álvaro Uribe kühl den Erfolg der Prozesse behauptet, sind diese für Anwälte und Menschenrechtler, deren Interviews gegengeschnitten werden, eine Farce: Als Straflosigkeit, „Impunity“, bezeichnen sie die maximal acht Jahre für schwerste Folter und zum Teil mehrere tausend Morde pro Angeklagtem. Die Position der Regisseure ist klar: Vergangenheitsbewältigung ist kein Verwaltungsakt. Die Arbeit mit den Opfern bleibt in der Aufarbeitung der Taten außen vor.
Noch dazu ist die Vergangenheit in Kolumbien nicht zu Ende. Paramilitärische Strukturen bestehen weiter, Morris und das Filmteam wurden bedroht, so dass einige Mitarbeiter aus Kolumbien ausreisen mussten.
PATRICIA HECHT
■ „Impunity – Kolumbien, ein Land im Krieg“. Regie: Juan José Lozano, Hollman Morris. Schweiz/Frankreich/Kolumbien 2010, 84 Min. Heute um 19 Uhr im Acud-Kino
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