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Poeten von der Calle

FUSION-REGGAETON Mit Texten jenseits des Gringo-Mainstreams und großem musikalischem Einfallsreichtum füllen Calle 13 aus Puerto Rico in Lateinamerika Stadien

„Befrei dich von Klamotten, Marken, Etiketten!“, rappt René Pérez

VON KNUT HENKEL

Ein selbst gebauter Sprengsatz ziert das Cover von „Entren los que Quieren“, der letzten Platte von Calle 13. Darüber prangt der Schriftzug: „Die, die wollen, treten ein“. Der Satz ist typisch für das provokante Duo, das den Kern von Calle 13 bildet: Eduardo José Cabra alias El Visitante und sein Halbbruder René Pérez alias El Residente. René ist der Mann im Rampenlicht, der Bad Boy von Calle 13.

Mit einem lauten Knall hat er die Band im September 2005 an das Pop-Firmament Puerto Ricos gerappt. „Querido FBI“ , verehrtes FBI, hieß der wütende Rap unter einem scheppernden Beat, der die US-Ermittler für den Mord am 72-jährigen Filiberto Ojeda Ríos verantwortlich machte. Ríos war der Gründer der „Macheteros“, einer Guerillagruppe, die für die Unabhängigkeit der Inselrepublik von den USA kämpfte, und starb in einem Feuergefecht mit dem FBI.

Die inbrünstige Mordanklage und das wütende Plädoyer für die Unabhängigkeit war das ins Internet gestellte Debüt von Calle 13. Dem folgte wenige Monate später das erste Album und die Songs kamen nicht nur in den einfachen barrios, den Stadtvierteln, von San Juan, an, sondern verkauften sich auch darüber hinaus wie warme Semmeln. Eine halbe Million Silberlinge gingen über die Ladentische – für ein Volk von gerade 3,9 Millionen Menschen ist das keine schlechte Bilanz. Obendrein wurde die darauf enthaltene Single „Atrévete-te-te“ zum karibischen Megahit. Dieser Erfolg ebnete den beiden Halbbrüdern den Weg. Konzerte in Mexiko, Argentinien oder Nicaragua folgten und die Tatsache, dass die Halbbrüder den American Way of Life in schöner Regelmäßigkeit ins Visier nehmen, ist der Popularität nicht gerade abträglich.

So strotzen die Texte auch dem vierten Studio-Album nur so vor Spitzen gegen das Establishment und gegen den Run auf US-Statussymbole. „Befrei dich von Klamotten, Marken, Etiketten!“, rappt René Pérez bei „Calma Pueblo“. Da polemisiert er gegen Polizeigewalt, ruft bei „Vamo’ a portarnos mal“ die Leute aus den Barrios zum Ungehorsam und Anarchie auf. „Wir sind anders“, heißt es da und statt der gesellschaftlichen Ausgrenzung tritt Calle 13 für die Einbeziehung der Leute aus den Barrios ein.

Das erklärt einen Teil der Popularität der Band, die die gesellschaftlichen Verhältnisse in Lateinamerika zwischen Feuerland und Ciudad Juárez aufs Korn nimmt. Solidarität mit den Zapatisten und mit den Müttern der Verschwundenen in Argentinien und Kolumbien gehören genauso dazu wie die Ankündigung, die Schulden, die das ungeliebte Plattenlabel Sony bei den Musikern hat, in den Barrios von San Juan zu verteilen.

Zuzutrauen ist es den einfallsreichen Querdenkern, die auch musikalisch deutlich einfallsreicher auftreten als die Konkurrenz und Bollywood-Klänge mit Latin-Vibes fusionieren, Balkanrhythmen auf Cumbia und Salsa prallen lassen. Erneuerung heißt Programm der beiden und das hat dazu geführt, dass Calle 13 sich längst aussuchen können, wen sie ins Studio einladen. In Lima etwa sind sie gerade erst mit der grandiosen peruanischen Sänderin Susana Baca aufgetreten – die allerdings wird in Hamburg leider nicht mit dabei sein.

Di, 28. 6., 21 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36

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