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Ein angemeldeter Flashmob

AKTION Protest will gelernt sein, Fußballspielen auch. Die Grüne Jugend erfährt es unter Schmerzen. Ein Protokoll

Als pflichtbewusstes Mitglied der Grünen Jugend, Bezirksverband Steglitz-Zehlendorf, fand ich mich zu Beginn der Frauen-Fußball-MW um 16.30 Uhr vor dem S-Bahnhof Olympiastadion ein. Es sollte ein „angemeldeter Flashmob“ durchgeführt werden, bei dem Aktive verschiedener Geschlechter vor dem Bahnhof und dem Stadion in Bündnis-90-Trikots kicken und so für Gleichberechtigung im Sport werben sollten. Tatsächlich standen angesichts des WM-Spieles von Kanada gegen Deutschland halb Berlin und dazu noch Fußball-Abgesandte aus aller Welt, allen voran 20 achtjährige Mongolen, vor dem Eingang des Bahnhofes herum. Nur meine Grüne Jugend fand sich erst kurz vor 17 Uhr ein und zeigte sich völlig überrascht, wie voll die S-Bahn doch gewesen sei.

Mitten im Gewusel zogen wir die Trikots an, entrollten unser „Geschlechterrollen durchbrechen“-Banner und bildeten einen Kreis, um uns gegenseitig einen labbrigen alten Fußball zuzuschieben. Das klingt nach einer passablen Aktion, zumal auch ein großer Teil der schwarz-rot-golden behängten, glitzernden Zuschauermasse gezwungen war, sich durch unseren weiteren Umkreis zu bewegen. Leider war eben dieser Umkreis kein sicherer Ort.

Am gegenseitigen Zuspiel waren drei weibliche und fünf männliche Grüne beteiligt, sodass das Gendergleichgewicht ohnehin beeinträchtigt war. Dass diese männlichen fünf alle etwas unsicher ihre Pässe spielten, beeinträchtigte die Wirkung der Aktion nur unerheblich. Leider trafen ausgerechnet die eigentlich in den Fokus zu stellenden Damen der Schöpfung den Ball entweder gar nicht oder droschen ihn ohne jedes Ballgefühl irgendwo in die Menschenmenge, die nicht etwa die Flucht ergriff, sondern meistens aggressiv zurückballerte. Bald trauten sich die drei Damen gar nicht mehr an die Spielkugel, oder sie stoppten sie ganz und standen dann minutenlang mit schlotternden Füßen davor, um sie schließlich verschämt in eine nicht vorhersehbare Richtung zu stupsen.

Derweil zeigten die männlichen Spieler immer geringeres Interesse an dem verkorksten Passspiel und begannen zu telefonieren oder zu schwatzen, sodass eine Traubenbildung einsetzte und den Rest dessen vernichtete, was an unserer planlosen Formation an einen Kreis erinnert haben mochte. Eine Gruppe junger Turnerinnen demütigte uns noch zusätzlich, indem sie uns gar nicht beachtete und ausgerechnet in der Mitte des imaginären Kreises eine Menschenpyramide baute.

Als ob dies alles noch nicht schlimm genug wäre, war es das Banner, das unser Gleichberechtigungsanliegen am nachhaltigsten sabotierte. Zwar stand „Geschlechterrollen durchbrechen“ darauf, aber während die Spielerschaft größtenteils männlich war, wurde es in Cheerleader-Manier von zwei Frauen gehalten, von denen eine zu allem Überfluss auch noch hohe Absatzschuhe trug.

Schließlich wurde der Anblick selbst der Polizei zu jämmerlich: Kurz vor Anpfiff wurden wir vom Platz vor dem Stadion geschmissen. Zwar gab es eine Genehmigung für die Aktion, aber unser Anführer konnte sie nicht vorzeigen und verwies auf seinen kaputten Drucker! Das unfreiwillige Ende der Aktion war zwar eine weitere Niederlage, aber eigentlich konnten wir erleichtert sein, dass wir unserem Anliegen und unserer Organisation an diesem Tag nicht mit weiteren Eigentoren schaden konnten.

PAUL SCHEUB (17 JAHRE)

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