: Stilles Strahlen
Das Verborgene Museum will die vergessene Kunst von Käthe Buchler an den Mann bringen
VON WIEBKE POROMBKA
Lange haben sie versteckt auf einem dunklen Dachboden gelegen. Jetzt strahlen sie umso intensiver. Die Farbaufnahmen der Fotografin Käthe Buchler, die man in der kleinen Ausstellung im Verborgenen Museum ansehen kann, sind eine kleine Rarität. Als Buchler (1876–1930) kurz vor dem Ersten Weltkrieg ihre ersten Bilder machte, hatten die Brüder Lumière das Verfahren gerade wenige Jahre zuvor patentieren und in Produktion gehen lassen. Autochromie nannten sie ihre neue Erfindung, mit der es erstmals möglich war, Farbaufnahmen mit einer einzigen Glasplatte anzufertigen. Die Glasplatte wurde hierzu mit einem Raster aus orangefarbenen, blauvioletten und grünen Kartoffelstärkekörnchen beschichtet, die sich durch Belichtung in das ganze Farbspektrum der Natur verwandeln konnten.
Durch die Grobheit der Körnung trifft sich in dieser fototechnischen Neuheit auf fast symbolische Weise noch einmal das 19. mit dem 20. Jahrhundert: Was unter Einsatz modernster chemischer Verfahren erzeugt wird, ist ästhetisch noch ganz nah dran an dem, was die impressionistischen Maler durch das tupfende Auftragen ihrer Farben entstehen ließen. Auch die Autochrome Buchlers versetzen den Betrachter, kaum hat man das Verborgene Museum betreten, in das Tempo einer vergangenen Zeit. Nicht nur wegen der Zahlen: 65 Glasplatten hängen in kleinen, von hinten beleuchteten Kästen an den Wänden des schummrigen Ausstellungsraums. 175 Glasplatten sind es insgesamt, die Buchler zwischen 1913 und 1930 angefertigt hat. In Zeiten von Digitalkameras muss man sich erst mal wieder klar machen, dass Fotografie einst ein zeitaufwändiges und äußerst kostspieliges Verfahren war.
Die Motive von Buchlers Autochromen aber sind im Gegensatz zu der avancierten Technik eher beschaulich. Die gebürtige Braunschweigerin hat sie zu einem großen Teil in ihrer unmittelbaren Umgebung gefunden. In ländlichen Szenerien blicken Kinder den Betrachter ernst an, gebannt von der Ehrfurcht, die das neue Medium einflößt.
Eine kleine Serie von Aufnahmen ist in einem Braunschweiger Waisenhaus entstanden. In blauen Kitteln sitzen dort Jungen und Mädchen, aufgereiht mal auf einer Bank, mal auf einem Eselskarren. Immer halten sie die kurz geschorenen Köpfe gesenkt. Viel zu ernst für ihr Alter sind sie, und man ist nicht sicher: Schämen sie sich für ihre Anstaltskleidung oder verstehen sie ganz einfach nicht, warum gerade ihr trauriges Leben auch noch im Bild festgehalten wird. Ganz anders die Autochrome, die Buchler 1914 von einer Sinti-Familie gemacht hat. Genau wie die Waisenkinder gehören sie nicht zu dem Teil der Gesellschaft, der üblicherweise zum Bildmotiv der neuen Fototechnik wurde. Aber die Frauen stehen stolz vor ihrem schäbigen Planwagen und lächeln der Fotografin anmutig entgegen. Sie scheinen die Aufmerksamkeit zu genießen, die sich für die Dauer der damals noch mehrere Minuten in Anspruch nehmenden Belichtungszeit einmal ganz auf sie konzentriert. Die Naturaufnahmen Buchlers sind es aber, die eine fast noch kraftvollere Wirkung haben, darunter die zahlreichen Bilder des Meeres, das sich in satten Grün-Blau-Tönen bis zum Horizont erstreckt.
Immer wieder sind es solche intensiven stillen Momente, die von Buchlers Glasplatten ausgehen. Es mag banal klingen, in Zusammenhang mit Fotografien von Stille zu sprechen. Tatsächlich aber setzt Buchler ihre Motive so in Szene, dass eine magische, zuweilen melancholische Geräuschlosigkeit von ihnen ausgeht. Vielleicht hatte Käthe Buchler gerade auch deshalb einen Sinn für diese stillen Szenen, weil sie zeitlebens an Schwerhörigkeit litt. Während um sie herum das Leben immer lauter, schneller und geschäftiger wurde, erscheinen ihre Bilder wie der Versuch, noch einmal für wenige Sekunden das zu bannen, was eigentlich schon der Vergangenheit angehört.
Allerdings sollte man die Tochter eines Staatsrechtlers und Gattin eines Fabrikanten trotz ihrer bürgerlichen Biografie nicht für heillos romantisch halten. Eine ungleich größere Zahl von Schwarzweißaufnahmen, die ebenfalls erst vor einigen Jahren wiederentdeckt worden sind, zeigt sie als sozialkritische Beobachterin der Gesellschaft. Frauen in Männerberufen ist ein Thema, das sich durch diese Bilder zieht, die noch auf eine systematische Aufarbeitung warten.
Eine Künstlerin wie Käthe Buchler ist prädestiniert dazu, in den Räumen des Verborgenen Museums ausgestellt zu werden, das seit seiner Gründung vor zwanzig Jahren viele solcher Ausgrabungen vorgestellt hat. „Schauen Sie sich mal in den Museen um“, sagt Marion Beckers, die seit den ersten Tagen zum Team gehört. „Kunst von Frauen finden Sie kaum. Die verstaubt irgendwo in den Lagern.“
Wenn sie es überhaupt bis dahin geschafft hat. Oft ergeht es den Werken von Künstlerinnen wie den Autochromen von Buchler, die über Jahre hinweg gut verpackt auf den Dachböden ihrer Kinder und Enkelkinder überdauert haben, bis sie im Fotomuseum Braunschweig ankamen, das die Ausstellung an das Verborgene Museum weitergegeben hat. Auf diese vergessenen Arbeiten von Malerinnen, Fotografinnen, aber auch Architektinnen, die gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Blütezeit hatten, macht der Verein Verborgenes Museum regelmäßig aufmerksam. „Wir verstehen uns als eine Art Durchlauferhitzer“, erzählt Beckers, denn nicht selten erleben sie, dass „ihre“ Künstlerinnen ein, zwei Jahre später von größeren Institutionen gewürdigt werden. Am besten wäre, wenn das Projekt sich irgendwann selbst ein Ende setzen würde. Dann nämlich, wenn alle Künstlerinnen ihren Platz da gefunden hätten, wo sie nach Beckers Meinung hingehören: neben ihre männlichen Kollegen.
Käthe Buchler, Verborgenes Museum Schlüterstraße 70, Charlottenburg, Do./Fr. 15–19 Uhr, Sa./So. 12–16 Uhr, bis 29. Juli
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