: Rappen in der Stadtlandschaft
Er hat Berlin als Spielplatz genossen, und noch immer sind die Plätze der Stadt seine Bühne. Dabei hat Sänger Ben Pavlidis mit der Band „Ohrbooten“ den Sprung vom Straßenmusiker ins Profistudio geschafft. Dazu wäre es wohl nie gekommen, wenn seine Lehrer ihm bessere Noten gegeben hätten
VON HANS W. KORFMANN
Aus Ben Pavlidis hätte alles Mögliche werden können: ein Handwerker, ein Manager, ein Lehrer oder eben auch nur der übliche Arbeitslose. Aber Ben Pavlidis wurde Sänger und Texter bei den „Ohrbooten“. Das lag an den schlechten Noten, die ihm der Deutschlehrer attestierte. Sonst hätte er sich womöglich nie auf die Straße gestellt, um Musik zu machen. Er hätte vielleicht studiert und sich ein Leben lang die Frage stellen müssen: „Wieso geb’ ich mir, das Leben in ’nem Gehege hier?“, wie es in einem seiner Texte heißt. Gott sei Dank aber ließ man den Legastheniker erst einmal sitzen. In die Sonderschule wollte man ihn stecken. Doch Ben geht so leicht nicht unter, Ben ist „ein Stadtkind, das durch die Stadt schwimmt“.
In der Schule schlängelte er sich bis zur 10. Klasse durch, so wie er sich auch täglich durch die unterirdischen Kanäle der U-Bahn schlängelte, von Kreuzberg zur Ernst-Reuter-Schule in den Wedding. Um der Langeweile in den U-Bahn-Schächten zu entgehen, hängte er sich mit seinen Freunden „schweinebaumelnd“ mit den Knien an den Haltestangen auf. „Die Ossis haben ganz schön blöd geguckt, wenn wir dann in den Bahnhof einrollten und kopfüber in den Fenstern hingen“, sagt der 30-Jährige.
Tour durch die Kneipen
Das waren Bens erste öffentliche Auftritte. Einige Jahre später stand er mit Matze auf der Straße und spielte Gitarre. Sie zogen durch die Kreuzberger Kneipen, „Atlantik, Locus, Casolare“. Spielten „The girl from Ipanema“, wenn die Leute gerade am Essen waren, oder Lieder von „Massive Attack“, wenn sie schon beim Trinken waren. „Es war einfach geil. Wir hatten Spaß und einen besseren Stundenlohn als bei irgendeinem anderen Job. Straßenmusik, das war die Lücke im System, und nebenbei behielten wir immer die Bodenhaftung.“ Hin und wieder kam einer von diesen Altachtundsechzigern und legte ihnen väterlich den Arm auf die Schultern: „Aus euch wird noch mal was!“ Und auch in den finstersten Eckkneipen bestellten die Gäste am Ende „noch ’n Jägermeister für die zwei!“
Nach drei Jahren Kneipentouren wurde das Gitarrenduo erstmals für eine Hochzeit gebucht; auf einer Australien-Reise lief es noch besser. Da kamen wirklich alle und sagten: „Hey, super“, und warfen was in die Mütze.
In Deutschland aber ist Straßenmusik immer ein bisschen wie Betteln, „da hörst du ständig so Sprüche wie: Geh erst ma üben“, sagt Pavlidis. Auch jetzt, nachdem die Ohrbooten 10.000 Scheiben verkauft, einen Plattenvertrag in der Tasche und ihre neue CD „im supermodernen Studio“ der Toten Hosen aufgenommen haben, ernten sie noch skeptische Blicke, wenn sie auf dem „Boxi“ in Friedrichshain die Lautsprecher aufbauen. „Das ist was anderes, als auf die Bühne zu kommen, wo alle nur drauf warten, wo man einen Takt anschlägt, und alle klatschen mit. Auf dem Boxhagener Platz laufen erst mal alle weiter. Da musst du jedes Mal wieder von vorn anfangen!“ Das reizt.
Deshalb stehen sie noch heute manchmal irgendwo in der Stadtlandschaft und rappen. Nur dass sie das Tempo um ein Drittel reduzieren. Damit auch die, die bislang nur die Stones gehört haben, mitkommen. Ben Pavlidis will „die Leute berühren“, will gehört werden. Er ist der Botschafter der Ohrbooten – was nach U-Bahn, nach U-Boot und nach Ohrwurm klingt. Und nicht nur zufällig nach Botschaft.
Denn sowieso ist überhaupt nichts zufällig bei den „Booten“. Auch die unangekündigten Auftritte am Boxhagener Platz nicht: Ein Drittel der 10.000 Scheiben mit dem Titel „Spieltrieb“ haben sie auf der Straße verkauft. „Heute macht man CDs, um Konzerte zu verkaufen“, sagt der Sänger. „Früher war es umgekehrt.“
Pavlidis hat die Bodenhaftung behalten, er hat „keen Sofa und keen Kanapee“ und kauft auch „nüscht im Kadewe“, zahlt nur „nur die Miete und die BVG“. Er ist nicht umsonst im Wedding in die Schule gegangen, hat nicht umsonst jahrelang von seinem Zimmer aus über die Mauer gesehen und auf dem Gleisdreieck in den Autowracks gesessen, bei denen nur noch der Zigarettenanzünder funktionierte – „das Wichtigste, wenn wieder mal keiner Feuer hatte“. Berlin war ein „Abenteuerspielplatz. Die stillgelegten Gleise, die leeren Bahnhöfe, das alles war voller Poesie.“ Jetzt, ein halbes Leben später, steckt die Poesie in den Texten.
Hoffen auf die Ablehnung
In jungen Jahren hat er es irgendwann doch noch auf die Musikschule im Bethanien geschafft. Er hatte fest damit gerechnet, dass sie ihn nicht nehmen würden, hatte darauf gewartet, abgelehnt zu werden, um wieder nach Indien zu fliegen – „und dann tschüss, wann ich wiederkomm, ist ungewiss, sicher ist, dass ich mich hier verpiss, dahin, wo det Wetter besser iss, Sonnenschein ohne Kompromiss“. Doch sie nahmen ihn, und so lernte er ein bisschen Theorie zur Praxis, die er längst beherrschte. Wurde „voll gepumpt mit Aufgaben, Gesang, Gehörbildung. Deswegen kann ich mitreden, wenn die Leute über Synkopen, Triolen und den Tritonus quatschen.“
Eigentlich aber hatte er reisen wollen. Doch dazu war plötzlich keine Zeit mehr. Und es fiel ihm gar nicht leicht, im vergangenen Jahr „mit den Booten den Vertrag bei den Hosen“ zu unterschreiben, denn „vier Scheiben, das sind acht Jahre! Ganz schön hart für einen Straßenmusiker“, so einen, der reisen möchte.
Andererseits wusste Ben sehr genau: „Wir sind die erste Band, die sich bei denen ins gemachte Nest setzen darf.“ Und überhaupt: „Es ist einfach supergeil, wenn man mit dem, was man gern macht, auch Geld verdienen kann.“ Texten tat er schon immer gern. An der Schule schrieb er Gedichte, Tagebücher, kurze Texte – ohne dabei an Musik zu denken. Aber ein Rhythmus war da. Und noch heute ist es manchmal so, dass er durch die Straße läuft, und plötzlich ist da ein Rhythmus, und dann kommen die Worte dazu, ganz von allein, das kann blitzschnell gehen, und dann ist da plötzlich ein rhythmisch starker Text, der Anfang der Musik. „Und dann geh ich mit meinen vier Akkorden und meiner Idee zu den andern und sage: Hier is’ was! Helft mir!“
Sie sind kein schlechtes Team, Matze, Onkel und Noodt, wie sich die Bandmitglieder alle seit ewigen Zeiten nennen, „die richtigen Namen kennt, glaub ich, nur noch die Gema“. Sie sind längst keine grünen Jungs mehr, es häufen sich „die Schwangerschaftsnachrichten im Freundeskreis“, Kinderklamotten gehen rum. Auch Ben Pavlidis ist kürzlich Vater geworden. Und wenn sie auf Tour gehen, sind am Ende alle froh, wieder in Berlin zu sein. So, als machten sie diesen Job schon seit vielen Jahren. Und als wären sie alt. Dabei sind sie zwischen 26 und 30 Jahre alt.
Immer hinten in der Ecke
Ben Pavlidis hätte Bademeister, Reiseleiter oder Verkäufer werden können, und dass er als Frontmann einer Band endete, konnte niemand voraussehen. „Das ist eigentlich auch echt nicht meins. Ich hab immer als Basser hinten in der Ecke gestanden. Die Basser stehen immer in der Ecke, die Basser sind nur die schlechten Gitarristen.“ Ne, damit hatte niemand gerechnet damals im Wedding, während der Proben bei Dennis, der im Heim lebte und auch nicht besonders gut in Deutsch war.
Das Heim war mies, aber es gab einen Proberaum im Keller. Und Dennis, das war auch so einer aus dem Wedding, der sich durchgeschlagen hat. Auch so einer wie Niko, der irgendwo auf Kreta geboren ist, genau wie Ben, und der dann eines Tages neben Ben auf der Schulbank saß. Niko, der immerhin noch das Abitur machte, um dann nichts anderes zu tun, als erst mal ein halbes Jahr lang um die Welt zu reisen. Auch der spielt heute in einer witzigen Band. „Netausgang“ heißt sie. Vielleicht, weil auch für diese Gruppe junger Männer die Musik so etwas wie ein Notausgang ist, „die Lücke im System“.
Die neue CD der Ohrbooten, „Babylon bei Boot“, erscheint heute
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen