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Nüchtern gegen Völlerei

Theodor Storms „Der Schimmelreiter“ ist gleich zweimal in Köln auf der Bühne zu sehen. In sehr unterschiedlichen Inszenierungen. Das Schauspiel konkurriert mit einem ehemaligen Straßentheater

VON JÜRGEN SCHÖN

Die Geschichte vom Kampf des Menschen gegen die Natur und sich selbst, von Liebe und Aberglauben machte die Novelle „Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm zum Klassiker und zum Alptraum deutscher Schüler. Dabei geht es da eigentlich richtig rund: Hauke Haien heiratet Elke, von deren Vater erbt er den Deichgrafposten. Ein weißer Schimmel wird zu seinem Markenzeichen. Haien lässt neue Deiche bauen, stabiler als die alten. Die Bevölkerung rebelliert, angeführt von Ole Peters, einst selber in Elke verliebt. Sie verlangt, dass dem Deich nach alter Sitte etwas Lebendes geopfert wird. Peters streut Gerüchte gegen Haien. Dann droht bei einer Sturmflut ein alter Deich zu brechen. Zur Rettung soll der neue Deich durchstochen werden. Die Katastrophe findet statt. Haiens Frau und Tochter kommen in den Fluten um, der stürzt sich mit seinem Schimmel hinterher – der Deich hat sein Tier- und Menschenopfer.

Ein verlockender Gedanke also, diese Story auf die Bühne zu bringen. In Köln gibt es das jetzt gleich zweimal in höchst gegensätzlicher Inszenierung zu sehen. Nüchtern geht es im Schauspielhaus zu. Karg ist das Bühnenbild, statisch die Inszenierung von Regisseur Armin Petras. Der Intendant des Berliner Maxim-Gorki-Theaters bleibt eng am Originaltext, setzt immer wieder auf lange Erzählpassagen, engt die Schauspieler in ein Gerüst. Selbst die eingesetzten Headsets scheinen eher Fesseln als Befreiung zu sein. Petras präsentiert ein Lehrstück, appelliert an den Verstand. Emotionen schwingen bei ihm immer im Zusammenhang mit Tragik. Selbst eine Slapstickszene auf dem Eis lockt keine Lacher, zu ernst kommt der Kampf um einen festen Stand daher.

Auf pralles Volkstheater setzt dagegen das Kölner N.N. Theater, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiern. Die fünf Schauspieler, größtenteils Straßentheater erfahren, umrahmen Storms gut 120 Jahre alte Geschichte mit Szenen aus New Orleans in Zeiten des Hurrikans Katrina 2005. Auch sonst sparen sie nicht mit aktuellen Anspielungen. Dabei verlieren sie nie die ewigen Themen des Schimmelreiters aus den Augen. Ihre Inszenierung ist eine Auftragsproduktion für das NRW-Kultursekretariat in Gütersloh, den Zusammenschluss von 57 nichttheatertragenden Städten und Gemeinden im Land, und geht deshalb nach den Kölner Auftritten auf Tournee durch NRW.

Und so kämpft das ehemalige Straßentheater auf der Freilichtbühne im Friedenspark auch ohne Mikrophon gegen die Güterzüge im Hintergrund. Atemberaubend schnell gelingt der Wechsel zwischen den Rollen, zu denen auch Schafe und Kühe gehören. Das Ensemble unter der Regie von George Isherwood, der sich mit dem Schimmelreiter einen langjährigen Traum erfüllt, wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Klamauk und Tragödie. Doch beherrscht die Truppe auch die zarten und berührenden, die ernsten und ergreifenden Momente auf der Bühne.

Und während im Schauspielhaus historische Filmaufnahmen vom Kampf gegen die Fluten ablaufen, setzt das N.N. Theater allein auf eine Windmaschine und ein bewegtes großes Tuch, um in einer grandiosen Schlussszene alles im Wasser zu begraben. Das Publikum in der Südstadt ist begeistert. Im Schauspielhaus ist er Beifall eher verhalten. Fehlte da der Frohsinn?

N.N.-Theater, Köln Friedenspark, 23.6., 20:00 Uhr Infos: 02202-251617 Schauspielhaus Köln Infos: 0221-22128400

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