: Zu „gemischtrassig“ degradiert
APARTHEID „Lass die Toten ruhen“: Malla Nunns historische Kriminalromane evozieren ein farbiges Bild des Südafrika der fünfziger Jahre
Es kommt wohl eher selten vor, dass man Krimis liest, um etwas über die Welt zu erfahren, da stehen doch eher andere Interessen im Vordergrund. Doch es gibt manchmal auch solche, die eine große Menge an Weltwissen sozusagen gratis mitliefern. Die in Südafrika geborene Malla Nunn, die mit „Lass die Toten ruhen“ jetzt ihren zweiten Roman in deutscher Übersetzung vorlegt, schreibt historische Kriminalromane, die nicht nur genau das erfüllen, sondern sich auch noch durch souveränen Sprachwitz und ein atmosphärisch genaues Erzählen auszeichnen, das dem historischen Setting eine gefühlte Authentizität verleiht, die man zwar nicht nachprüfen kann, aber bereitwillig inhaliert. Und es ist anzunehmen, dass Nunn, obwohl sie selbst noch nicht dabei war, weiß, wovon sie erzählt, wenn sie über das Südafrika der fünfziger Jahre schreibt. Sie selbst entstammt einer „gemischtrassigen“ Verbindung und emigrierte als Kind in den siebziger Jahren mit ihren Eltern aus dem Apartheidstaat nach Australien.
Auch Emmanuel Cooper, der Held ihrer beiden Romane, ist rassisch etwas unklarer Herkunft – ein Umstand, der mit dafür gesorgt hat, dass er, der in „Ein schöner Ort zu sterben“ noch als unbeugsamer Detective im ländlichen Buschland einen Mord an einem weißen Afrikaander aufzuklären hatte, sich im zweiten Roman als Dockarbeiter in Durban wiederfindet, rassisch degradiert von „europäisch“ zu „gemischtrassig“. Mit verdecktem Auftrag allerdings, denn inoffiziell arbeitet Emmanuel weiterhin für den mächtigen Major van Niekerk, für den er Informationen über Mitarbeiter sammelt. Bei einer nächtlichen Erkundungstour im Hafen von Durban findet Emmanuel die Leiche eines elfjährigen Kindes – eines weißen Jungen, der mit allerlei Gelegenheitsjobs im Hafen Geld für seine Mutter und seine vielen Geschwister verdiente. Das Trio aus drei indischen Männern, auf das Emmanuel in der Nähe des Tatorts trifft, scheint zwar nichts mit dem Mord zu tun zu haben; dennoch kidnappen sie ihn kurzerhand, weil sie ihn für einen Polizisten halten. Erst Emmanuels Begegnung mit der mächtigen Maataa, der Mutter der indischen Dutta-Familie, die ein kleiner Boss im Haschischhandel ist, bringt ihm die Freiheit.
Schon diese erste Szene, die Dutta-Episode, lässt bei allem humoristischen Kolorit allerdings ahnen, woran es Malla Nunns Romanen, als Krimis betrachtet, dann doch auch fehlt. Das Bemühen um größtmögliche Farbigkeit und Differenziertheit der historischen Darstellung geht einher mit einem großen Aufgebot an Figuren, die möglichst viele Teile der Bevölkerung des multiethnischen Apartheidstaates repräsentieren sollen. Das gelingt zwar; doch geht dieses Verfahren durchaus zu Lasten des Handlungsaufbaus. Ein episodisch gebauter Handlungsverlauf, bei dem der Ermittler nacheinander verschiedene finstere Locations aufsucht, in denen verschieden finstere menschliche Existenzen auf den Leser warten, steigert die Spannung nicht wirklich.
Während in Nunns wunderbarem Erstling „Ein schöner Ort zu sterben“ ein Großteil der Spannung darin liegt, dass die Intentionen und wahren Identitäten der handelnden Personen erst nach und nach aufgedeckt werden, fehlt es den Figuren in „Lass die Toten ruhen“ an der dafür notwendigen Tiefe. Sie sind Episodenträger, kaum mehr. Ein bisschen schade ist das schon. Dennoch: ein schön zu lesendes Buch. Fremdsprachenkundigen möchte man allerdings fast eher das Original empfehlen. Auch wenn dem Übersetzer inhaltlich nichts vorzuwerfen ist, kann es auf die Dauer nerven, wenn das Manuskript so offensichtlich nicht ordentlich Korrektur gelesen worden ist. Oder gab es mittlerweile eine neue Rechtschreibreform, nach der Groß- und Kleinschreibung total egal geworden sind? KATHARINA GRANZIN
■ Malla Nunn: „Lass die Toten ruhen“. Aus dem Englischen von Armin Gontermann. Rütten & Loening, Berlin 2011, 276 Seiten, 19,95 Euro
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