: Berlin mal kurz auf Abstand halten
Weite, Sonne, rauschende Alleen. Auf holprigem Kopfsteinpflaster zeigt sich, ob an der Maschine alles festgeschraubt ist. Dennoch geht es beschwingt über die Märkische Eiszeitstraße, dann lockt das Schlossgut Liebenberg mit Kaffee und Kuchen: In vier Tagen einmal komplett rund um die Hauptstadt
Online Zimmer buchen, Wetterdienst und Pannenhilfe-Adressen: Alles, was wirklich wichtig ist, steht auf den Webseiten von www.reiseland-brandenburg.de Zeltplätze sind auf camping-in-brandenburg. de verzeichnet. Pause bei Kaffee und Kuchen macht man auf Schlossgut Liebenberg: www.schloss-liebenberg.de Den Maler Kurt Mühlenhaupt trifft man oft samstags und sonntags im Museum Bergsdorf: www.muehlenhaupt.de TOW
VON TOM WOLF
Wer Motorrad fährt in Berlin, muss ab und zu ausbrechen. Falls das Geld für Tagesausflüge nach Paris, London, New York oder Tokio nicht reicht, bietet sich die Mark Brandenburg als lohnendes Ausweichziel an. Warum nicht mal Berlin umrunden?
Die Streckenplanung fällt nicht schwer. Drei Bundesstraßen beschreiben einen 550 Kilometer langen Rundkurs um die Kapitale: B167, B102 und B87. Wenn man die abfahren und dabei auch was von Land und Leuten sehen will, dauert das vier Tage. Drei Übernachtungen, in Neuruppin, Brandenburg und Lübben, sind daher nötig.
Freienwalde – Neuruppin
Beschwingt geht’s die B158 nach Norden. Erst hinter Tiefensee verschwindet der Eindruck, Berlins faserige Ränder würden nie aufhören. Auf eine erste von tausend zauberhaften ländlichen Alleen folgt ein kurviges Runter und Rauf. Nach Bad Freienwalde noch mal hinunter, und schon ist man im Orbit.
Die Bezeichnung „Märkische Eiszeitstraße“ erklärt sich in Falkenberg: Steil führt der Anstieg auf die Endmoräne. Herrlicher Laubwald rauscht duftend hinter Zerpenschleuse vorbei, und wenn die buschbestandenen Wiesen beginnen und Liebenwalde in der Ebene auftaucht, fehlt nur noch eine Barockkirche, um einen Eindruck von Oberbayern zu gewinnen. Das Rathaus sieht im Vorbeifahren schön aus.
Sieben Kilometer weiter liegt in sanft hügeliger Waldgegend das Schlossgut Liebenberg und lockt mit Kaffee und Kuchen. Am Wochenende kann man das Atelier des legendären, aber noch sehr lebendigen Malers Kurt Mühlenhaupt in Bergsdorf besuchen. Bei der Ortseinfahrt in Neuruppin zeigt sich, ob an der Maschine alles festgeschraubt ist. Im hübschen „Tempelgarten“ wird zu Abend gegessen. Vielleicht reicht die Energie noch zu einem Blick in die Fontane-Stube des Heimatmuseums.
Neuruppin – Brandenburg
Die unverwesliche Mumie des Cornets Kahlebutz in der kleinen Kampehler Wehrkirche mag frühmorgens jeden Biker an die Gnadenlosigkeit der Straße gemahnen: Immer gut aufpassen, sonst siehst du bald aus wie der! Im Kutschenmuseum in Neustadt/Dosse sind eine riesige Postkutsche und der Landauer zu sehen, mit dem die Queen durchs Städtchen rollte.
In Sieversdorf-Hohenofen ließ Kleists Prinz von Homburg einst eine Eisenhütte errichten. Heute gibt es die höchst interessante Filmtierschule Karsch zu besichtigen, wo tierische Schauspieler für die Arbeit vor der Kamera getrimmt werden. Bei der Durchfahrt durchs adrette Sieversdorf fragt man sich, weshalb es sich stolz „Hexendorf“ nennt, nach einer angeblich 1669 verbrannten Dame. In Stölln kann man sich auf Otto Lilienthals berühmtestem Sprunghügel die Beine vertreten und weiter über diese Frage nachdenken.
Das Ländchen Rhinow ist dünn besiedelt wie zuvor nur der echte Garten Eden. Weite, Sonne, rauschende Alleen. Wenn nur der Fahrtwind Kühlung bietet, kommt man sich vor wie in Südfrankreich. Ein sehr nötiger Havelland-Exkurs führt über Strodehne und Molkenberg. In Warnau muss man vorsichtig fahren, will man in der Dünenlandschaft des Straßenpflasters nicht auf Grund laufen. Molkenberg bewachen zahlreiche Störche von Nestern aus. Doch unbehelligt darf auch der Berliner von der Badestelle im Dorf bis in die Havel schwimmen.
Gut abtrocknen, denn es folgt eine schnittige Wald- und Berg-Strecke. In Schollene verdient eine legendäre Radkappensammlung an einer Scheunenwand Beachtung, bevor man, von Geschützdonner begleitet, durchs kiefernbestandene, sandige Truppenübungsgelände am Weißen Berg, über Steckelsdorf nach Rathenow fährt. Von unheimlicher Begegnung mit einem Spähpanzer erhole ich mich in Brandenburg, wo gerade lauthals 850 Jahre Mark gefeiert werden. Viele Straßencafés hat es da, ein Riesenrad und einen kleinen Aalimbiss. Auf einer Veranda überm dunklen Fluss sitze ich und sehe zu, wie die Fische frisch mit leuchtend weißer Unterseite aus der Havel herausgezogen werden und sich ringeln. Bald aale ich mich selbst und schlafe, schlafe …
Brandenburg – Lübben
Vor Ragösen erhebt sich rechts ein Kuppelgewölbe aus Heckenpflanzen. Es ist entschieden zu heiß hier im Süden. Das war bestimmt eine Fata Morgana! Zeit für eine Abkühlung im Baruther Urstromtal. Es wurde vom abfließenden Schmelzwasser eines Eiszeitgletschers geformt. Heute ist der Urstrom eine trockene Rinne mit zwei Steilufern. In Golzow lerne ich im Museum „Alte Brennerei“ alles übers Schnapsbrennen, bescheide mich im Eiscafé aber mit einem Eiskaffee. Danach lasse ich mich urstromabwärts treiben und bade im prämierten Naturbad Dippmannsdorf im Wasser aus 32 Quellen. Kalt, aber paradiesisch.
Über Wasser in historischen Stadtkernen informiert in Belzig die Ausstellung „gebändigt, genutzt, gewonnen“. Im diesem strohtrockenen Landstrich, dem Fläming, wo stets Waldbrandstrufe IV herrscht und das Erwischtwerden beim Rauchen in Waldnähe 20.000 Euro Strafe kostet, ist das ein heißes Thema. Vom Horizont grüßen kiefernbekrönte Tafelberge. Sieht nach Breisgau, Rheintal, Elsass aus. Auch der frische Getreidegeruch, der zum offenen Helmvisier hereinströmt, stimmt dazu.
Schier endlose schnurgerade Alleen aus Robinien führen mich nach Jüterbog, wo die Besteigung der beiden Türme von St. Nikolai für die Bandscheibenmassage der Pflasterung entschädigt. Der Weg hinauf ist so abenteuerlich wie der Rundblick auf Stadtummauerung und menschliche Wohnsituation. Direkt unten im Nachbarsgarten prangt ein blauer Swimmingpool. Ob ich da von hier oben aus reinspringe? Die Sammlung von Holzplastiken in der Kirche, darunter ein Jesus mit barocker Allonge-Perücke, ist absolut sehenswert.
Zwischen Hohengörsdorf und Werbig fräst eine Straßenbaukolonne den Belag auf. Vorsicht, erhöhte Sturzgefahr durch die Rillen! Wem trotzdem nach deutscher Literatur der Romantik der Sinn steht, der biege beim Wegweiser „Wiepersdorf“ ab und besichtige das Schloss der Bettine von Arnim, die von Goethe lästige „Bremse“ genannt wurde. Bremsen sollte man erst wieder in Lübben, um sich nach den Mückenstichen von Nieder- und Hochkultur inmitten von Spreewaldgurken zur Ruhe zu legen. Wenn man nicht gerade auf Kahnpartien mit seltsamen Menschen Wert legt, sieht man als Motorradfahrer vom Spreewald nichts.
Lübben – Oderberg
Vor Beeskow wallt ein schöner Mischwald vom Fahrtwind auf, dann kommen streif-trockene Kiefern. In Beeskow fände man ein kleineres Jüterbog mit Bergfried-Rundblick und sehenswertem Heimatmuseum. In Frankfurt könnte man das Kleistmuseum besehen oder im Panoramarestaurant im berühmten Oder-Turm-Hochhaus essen, oder? Besser nicht, denn die bevorstehende Tour durchs Oderbruch ist noch lang genug.
Bis Lebus folge ich 10 Kilometer der B112. Aber was dann? Auf die Seelower Höhen und weiter über Neuhardenberg mit Schlossrestaurant und Schinkelkirche? Ich plädiere für die viel reizvollere Fahrt durchs sommerlich heiße Oderbruch. Die B112 also weiter ins Küstriner Vorland. Von Küstrin-Kietz am Hochwasserdamm entlang. Enge Straßen, teils holperig, Alleen aus Kopfweiden, Obstbäumen, Pappeln, Erlen. Neuntöter sitzen auf den allgegenwärtigen Stromleitungen. Verwunschene kleine, vorzeitliche Welt.
In Nieschen erklärt mir eine freundliche Dame, dass ich bis ans Oderufer fahren kann. Das mache ich, um am trägen Fluss einem Angler zuzusehen. Polen drüben winken. Myriaden kleiner Fische stehen und schwärmen im leicht getrübten, warmen Wasser. Barsche, Welse oder Aale könne man fangen, sagt der Angler. Baden würde er hier nicht, weil die Strömung in der Mitte sehr stark sei. Das Schilf raschelt, der Blick schweift über die Oder. Ohne bemerkt zu werden, ist eine Stunde davongetrieben. Ein Stück zurück am Damm muss man fahren, denn hinter Nieschen versandet die Straße ohne Vorwarnung in Privatgelände. Über Genschmar nach Zechin, Letschin und dann bis nach Wrietzen.
Für das Freilichtmuseum Altranft, wo bedrohtes Fachwerk Unterschlupf gefunden hat, fehlt mir die Kraft. Lieber will ich die Gelegenheit nutzen und nach dem Schließen des Kreises in Bad Freienwalde noch eine kleine Fahrtschleife anbinden: Bis nach Hohensaaten, wo sich während der Fahrt ein wunderbarer Abschiedsblick zur Oder auftut, anschließend über Neuendorf, Oderberg, Liepe, Niederfinow, Eberswalde, Biesenthal und Bernau zurück. Berg und Tal bei Liepe, dichte Wälder mit engen Kurven bis Bernau.
Und Berlin hält so lange mit sich hinterm Berg, dass man kurz erschrickt, wenn es auftaucht. Vom unentwegten Grüßen der vielen anderen Motorradfahrer habe ich nach den vier Tagen fast einen Muskelkater im linken Arm. Irgendwie schön, wieder daheim zu sein. Leise tickend kühlt die Maschine ab.
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