: „Man reicht nie an John Coltrane ran“
JAZZ Klaus Theweleit tritt mit seiner Band BST in Berlin auf. Ein Gespräch über antiautoritäres Improvisieren
■ Der Star: Das Schaffen und Wirken von Klaus Theweleit lässt sich wohl nur mit dem eines anderen großen Theorie-Hoppers vergleichen, mit dem Slavoj Zizeks. Wie dieser publiziert er zu einem schier unüberschaubaren Themenspektrum zwischen Philosophie und Popkultur. Bekannt und berühmt wurde Theweleit mit seiner zweibändigen Studie „Männerphantasien“ über Männlichkeit und Faschismus. In weiteren Büchern hat er sich als Kenner des Fußballs, der Filme Godards und des Gitarrenspiels von Jimi Hendrix erwiesen. Klaus Theweleit lehrt am Institut für Soziologie in Freiburg.
■ Die Band: In seinem Improvisationstrio BST spielt Theweleit nebenbei Gitarre. Eine CD hat das Ensemble bereits aufgenommen. Heute Abend tritt es in der ungewöhnlichen Besetzung Gitarre, elektronisch verstärkte Violine und elektronisch verstärktes Cello bei freiem Eintritt im Neuen Berliner Kunstverein auf. Beginn ist um 20 Uhr.
INTERVIEW ANDREAS HARTMANN
taz: Herr Theweleit, heute Abend treten Sie mit Ihrem Improvisationstrio BST im Neuen Berliner Kunstverein auf. Es wird vielleicht einige überraschen, dass der bekannte Theoretiker und Verfasser vieler Bücher, Klaus Theweleit, nebenbei auch Gitarre in einer avantgardistischen Jazzband spielt. Oft treten Sie mit dieser aber nicht auf, oder?
Klaus Theweleit: Ganz selten. Eigentlich nur zu Ausstellungen und Vernissagen. Letztes Jahr mal in Leipzig mit einer Gruppe namens Wilde Ehe, auf deren Einladung hin.
Weil Sie die Band eher als Privatvergnügen betreiben?
Wir sind halt keine professionellen Musiker. Der Professionellste bei uns ist Musiklehrer am Gymnasium, alle anderen sind Amateure. Und das Herumreisen und Auftreten würde sich allein schon durch den Lehrerberuf vollkommen verbieten. Somit klappt es höchstens mal am Wochenende.
Schon seit den frühen Siebzigern spielen Sie in einer Band. Wie kam es dazu?
Die Gruppe bestand am Anfang aus drei Profis, gelernten Musikern – Schlagzeuger, Flötist, Dirigent –, und Amateuren wie mir, die zwar ein Instrument spielten, aber eher Musik hörten, Musikfans waren. Wir stellten fest, dass wir Amateure den Profis etwas über Jazz erzählen konnten und die uns etwas über Mahler. Der Gedanke war, über das gegenseitige Zuhören etwas zusammenzubringen, eine improvisierende Musikform zu entwickeln. Das kann man nicht, wenn man Noten aufschreibt, wenn man etwas vorgibt. Denn dann geht es nicht mehr um das Hören, sondern ums Ausführen. Das waren eigentlich Übungen damals, und die hatten auch ihre politische Seite. Die politischen Gruppen zeichneten sich damals oft dadurch aus, dass man sich eben nicht gegenseitig zuhörte und stattdessen die anderen zuquasselte. Damit ist auch die ganze Geschlechterproblematik verbunden – damals waren auch noch Frauen mit in der Band – und das Problem, antiautoritär sein zu wollen und trotzdem autoritär zu sein. Das sollte alles mit aufgelöst werden in der Gruppe. Wir wollten zuhören und jeden zu seinem Recht kommen lassen, ob Profi oder nicht, ob Mann oder Frau. Dazu der Warhol’sche Gedanke: Jeder ist ein Künstler.
Sie treffen sich immer noch regelmäßig und spielen zusammen?
Wir treffen uns tatsächlich jede Woche. Immer freitagabends.
Aber nicht zum Proben, sondern zu Sessions? Sie spielen freie, improvisierte Musik.
Keine Proben. Proben gibt es nicht. Wir legen ein Band ein und lassen das durchlaufen. Wir hören es in der darauffolgenden Woche ab, auch an festen Tagen. Heute sind wir nur noch drei Musiker in der Band. Wir waren mal acht, mal zehn, mal sechs. Das wechselte über die Jahre. Diese Abhörtermine waren, als die Gruppe noch größer war, aufreibend und hart. Weil man sich gegenseitig immer wieder mit Fragen dieser Art konfrontierte: Warum hast du das an der Stelle gemacht? Das zerstört doch das, was der andere gerade entwickelt. Und warum jetzt die Klarinette? Und warum jetzt das Schlagzeuggedröhne? Das war unheimlich aufreibend. Es gab auch Austritte aus der Gruppe, manche haben das nicht ausgehalten. Wenn wir das jetzt abhören, zu dritt, dann machen wir nebenbei Spiele. Und hören sozusagen nebenbei zu. Und entscheiden dann, was wir aufheben wollen oder gleich wieder überspielen.
Welche Instrumente werden in BST gespielt?
Wenn wir auftreten, sind wir drei Streicher. Ich habe die Gitarre auf den Oberschenkeln liegen und spiele sie mit einem Violinbogen. Außerdem gibt es Cello und Geige, beide elektrisch verstärkt. Wenn wir unter uns privat spielen, ist alles etwas anders. Wir haben einen ganzen Keller voller Instrumente. Ich spiele auch Saxofon, und da stehen auch ein Piano rum, eine Posaune und afrikanische Fingerklaviere, ein Schlagzeug und lauter Percussionszeug. Und wir wechseln uns ab an den Instrumenten, aber natürlich ohne vorherige Vereinbarung. Öffentlich jedoch würde ich mich nicht an ein Saxofon herantrauen. Mit John Coltrane oder Albert Ayler im Ohr würde ich mich nicht vor ein Publikum trauen. Man käme sofort dazu, sich zu messen mit diesen Jazzvorbildern, und das ginge einfach nicht. Den Streichersound von uns dagegen, den gibt es ansonsten kaum, mit dem können wir uns auch an die Öffentlichkeit trauen.
Welche Vorbilder haben Sie für die Art, wie Sie die Gitarre spielen?
Fred Frith, Bill Frisell, Sonny Sharrock, das sind Leute, die ich dabei im Ohr habe, auch wenn das natürlich jetzt ziemlich große Namen sind.
Sie sind erklärtermaßen Fan des Art Ensemble of Chicago und von Sun Ra. Sie haben ein Buch über Jimi Hendrix geschrieben. Das sind auch alles große Namen. Hemmt es nicht manchmal einen kleinen Amateur an der Gitarre wie Sie, solche Vorbilder zu haben?
Das hemmt nicht nur manchmal. Die meisten Musiker sind dadurch gehemmt. Aber dazu ist die freie Improvisation eben auch da. Dazu, dass man es manchmal eben doch schafft. Es gibt Passagen auf unseren Bändern, wo wir uns sagen: Okay, das ist jetzt aber nicht viel schlechter als beim Art Ensemble of Chicago. Die sind ja auch nicht immer perfekt. Man kann da heranreichen. Man reicht natürlich nie an John Coltrane heran, das kann man vergessen. Aber perkussive Sun-Ra-Sachen, die Struktur, das musikalische Denken, das da drinsteckt, auch in der Verbindung von afrikanischen, rhythmischen Sachen und europäischem Denken, wie man es etwa in einer Mahler-Symphonie findet, das steckt in dem, was wir spielen, mit drin.
Werden Sie Lampenfieber haben bei Ihrem Auftritt in Berlin?
Ich habe keine Ahnung, warum genau der NBK uns eingeladen hat, wer uns da sehen möchte und was die Bedürfnisse dieser Leute sind. Ich werde großes Lampenfieber haben.
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