: „Ich schichte und schichte und schichte“
LEGENDE Glückliches Berlin: Ein großer alter Mann des Pop kommt zu Besuch. Roxy-Music-Sänger Bryan Ferry spielt am kommenden Mittwoch solo im Tempodrom. Hier erzählt er, wie sein neues Soloalbum, „Avonmore“, entstanden ist. Die Arbeit beginnt um Mitternacht
■ Bryan Ferry, geboren 1945, wurde mit Roxy Music berühmt. Besonders markant sind die ersten beiden Alben mit Brian Eno, für die Bryan Ferry bereits damals alle Stücke schrieb. Neu ist das Album „Avonmore“ (BMG Rights Management/Rough Trade).
INTERVIEW FRANZ X. A. ZIPPERER
Unterkühlte Stilsicherheit hat Bryan Ferry schon bei Roxy Music bewiesen. Und Stilsicherheit jedweder Art beweist er mit seinem aktuellen, dem 14. Studioalbum, „Avonmore.“ Er bleibt auch da der nonchalante Musikflaneur, der es gern opulent mag und der sich genauso gern mit langjährigen musikalischen Partnern wie Nile Rodgers, Johnny Marr oder Marcus Miller umgibt, wie er kreatives Neuland betritt. Dazu holt er diesmal den norwegischen Musiker, DJ und House-Produzenten Todd Terje an Bord. An illustren Gastauftritten mangelt es ebenfalls nicht. So trumpfen Flea, Mark Knopfler oder Maceo Parker auf.
Angedunkelte und melancholische Wege nehmen die Stücke, und man hat immer das Gefühl, es müsse beim Hören das Mondlicht leuchten. Im telefonischen Interview gibt Bryan Ferry Auskunft über sein kreatives Schaffen.
taz: Mr. Ferry, woher weiß ein Künstler eigentlich, dass die Zeit reif ist, sich neuen Ufern zuzuwenden?
Bryan Ferry: Über die letzten Jahre bin ich ausgiebig getourt, und als ich auf der Bühne immer wieder die gleichen Sachen sang, dachte ich mir: Mensch, es wäre doch schön, wieder neues Material zu singen. So eine musikalische Frischzellenkur ist aufregender für alle Beteiligten – für das Publikum, für die Band und natürlich auch für mich. Das war die Motivation.
Fällt es Ihnen leicht, mit dem Schreiben neuer Stücke zu beginnen? Für viele Künstler ist das eine Tortur.
Es ist ein wenig von beidem. Leichtigkeit und Tortur. Es ist für mich eine wahre Tortur, Texte zu schreiben, hingegen bereitet es mir größten Spaß, Musik zu schreiben. Dazu setze ich mich ans Klavier. Ich muss dazu allein sein, und das Hinsetzen ans Klavier – ein richtig altes Steinway-Teil – passiert meist auch nicht vor Mitternacht, wenn draußen absolute Ruhe herrscht. Wenn sich die Muse dann nicht im Streik befindet, spüre ich etwas. Sofort. Zunächst etwas Unbestimmtes, das mich aber schon veranlasst, die Aufnahmetaste meines uralten Kassettenrekorders zu drücken. Doch dann wird noch längst kein zusammenhängendes Stück daraus. Auf der Kassette finden sich manches Mal Ideenfetzen, von denen der eine zwei Jahre älter ist als der darauffolgende. Die ordne ich dann. Doch leider kommt irgendwann der Moment, in dem ich der Musik alles gegeben habe, was ich ihr geben kann. Dann muss ich mich an die Worte machen – Tortur hin oder her. Musik und Worte zu einer untrennbaren Einheit zu verschmelzen, dass ist die wohl größte Herausforderung für mich.
Damit ist das Lied ja noch nicht ganz zu Ende geschrieben, es fehlt noch der Einsatz weiterer Musiker.
Natürlich durchläuft der Kompositionsprozess viele unterschiedliche Phasen. Ich merke es aber sofort, wenn es so weit ist, dass ich die Schnipsel in mein Londoner Studio bringen sollte, um weiter daran zu arbeiten, mit anderen Musikern. Das ist wohl einer der spannendsten Momente, wenn andere Musiker in den weiteren Prozess einbezogen werden. Die lasse ich vor dem Hintergrund meiner Skizzen ganz offen agieren und ohne direkt einzugreifen. Und dann schichte ich und schichte und schichte ich. Das mache ich wieder allein – so lange, bis ich die Klangskulptur höre, die identisch mit dem ist, was sich im Kopf als Idee geformt hat. Es ist praktisch ein ständiger Abgleich zwischen beidem.
Angesichts der Vielzahl von Musikern, die in die Kreation von „Avalon“ involviert sind: Gibt es im Schaffensprozess Momente, in denen eine Note geradezu nach einem bestimmten Musiker schreit?
Nein, das gilt für meine Stücke nicht. Das passierte bei Roxy Music häufig, da gab es diese Notenschreie, und danach war unmittelbar klar, da muss Andrew Mackay eine Saxofonlinie spielen. Ich habe ein ganz einfaches Auswahlprinzip, ich arbeite mit Leuten, die ich schätze, deren Klang ich mag und die so über Jahre enge Freunde wurden. Nile Rodgers ist einer von ihnen. 1985 spielte er das erste Mal auf der Platte „Boys&Girls“. Seit er für seine Arbeit mit Daft Punk drei Grammys einkassierte, ist er wieder total angesagt. Ein wunderbarer Künstler. Am Bass muss mein Lieblingsbassist, Marcus Miller, stehen. Auch er war schon bei „Boys & Girls“ mit von der Partie.
Das sind die alten Recken, Sie arbeiten aber auch mit einem jungen norwegischen Musiker, DJ und House-Produzenten, mit Todd Terje.
Ich arbeite wirklich zum ersten Mal mit einem DJ. Mein Sohn Isaac ist sehr vertraut mit urbaner Tanzmusik. Er hat mich auf Todd Terje aufmerksam gemacht.
John Lennon hat mal gesagt, ein Stück ist dann fertig, wenn man nichts mehr wegnehmen kann.
Das ist nicht mein Stil, wirklich nicht. Ich arbeite je eher gegensätzlich und denke, ein Stück ist dann fertig, wenn ich nichts mehr hinzufügen kann. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, bekomme ich durchaus Lust, mal so ein richtig reduziertes Album zu machen.
Es gibt auch Coverversionen auf dem Album, etwa Stephen Sondheims „Send In The Clowns“. Was reizt Sie an einem Lied, damit es für Sie als Coverversion infrage kommt?
Erst mal muss ich es natürlich mögen. Von „Send In The Clowns“ kannte ich die Version von Frank Sinatra. Dass ich gerade diese Version kannte und mochte, machte es nicht gerade leichter. Miss dich mal mit Frank Sinatra … Aber das wollte ich ja gar nicht. Also riss ich das Stück förmlich aus seinen historischen Zusammenhängen und in Stücke. Ich habe es dann einfach zeitgemäß wieder zusammengesetzt.
Können Sie sich an einen musikalischen Moment erinnern, der so prägend für Sie war, dass Sie danach selber Musiker werden wollten?
Absolut. Das muss 1966 gewesen sein, denn ich war schon auf der Universität. Es gab weitaus früher ein paar musikalische Begegnungen, aber die waren nicht prägend. Ich bin von Newcastle nach London getrampt, um dort die Stax-Labelshow zu sehen. Otis Redding, Sam & Dave, Steve Cropper und Booker T. & The M.G.’s standen auf der Bühne. Es war ein gigantisches Konzert. Ich war so beeindruckt, dass ich selber etwas mit Musik machen wollte. Das führte dann später zu der Gründung von Roxy Music, mit denen wir 1972 debütierten.
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