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HARALD KELLER DER WOCHENENDKRIMIWahre Verbrechen

Eine Sitzgarnitur, eine Schrankwand, putzige Bilder an den Wänden. Ein blinder Spiegel, dahinter ein Mann am Computer. Das vermeintliche Wohnzimmer ist ein Verhörraum. Hier sprechen eigens ausgebildete Beamte mit Kindern, die möglicherweise Opfer eines Missbrauchs wurden. Die kleine Dolores erzählt, dass ihr Vater sie manchmal am Popo kratzt. Für die Ermittler ein Signal, genauer nachzufragen.

So beginnt der Spielfilm mit dem in kindlicher Manier geschriebenen Titel „Poliezei“. Den Gattungsbegriff Spielfilm muss man betonen, denn wer den Vorspann verpasst, könnte „Poliezei“ für eine Reportage halten, wie sie der Fotograf und Dokumentarfilmer Raymond Depardon mit „Unterschiedliche Vorkommnisse“ gedreht hat. Die Ereignisse basieren tatsächlich auf realen Fällen der Pariser Jugendschutzpolizei. Regisseurin Maïwenn hatte dort hospitiert. Dieser Status der teilnehmenden Beobachtung spiegelt sich in der Rolle der von Maïwenn selbst verkörperten Fotografin Melissa. Sie soll im Auftrag des Innenministeriums die Arbeit des Kommissariats dokumentieren. Entgegen üblicher dramaturgischer Praxis übernimmt Melissa keine Erklärfunktion; ihrer Wahrnehmung gemäß ist der Film elliptisch angelegt.

Regisseurin Maïwenn und die für diese Arbeit preisgekrönte Cutterin Laure Gardette lassen vieles unerklärt, verhalten sich dem Zuschauer gegenüber ungefällig, bleiben damit aber realistisch – nur im Märchenkrimi begleiten die Polizisten die Opfer bis ins Happyend.

Der Alltag der Beamten ist frustrierend. Das hat Auswirkungen auf die Teamarbeit, die von Reibereien und Übermut, Wut und Komik geprägt ist. Auch das Privatleben beziehen Maïwenn und Koautorin Emmanuelle Bercot, die ebenfalls als Schauspielerin mitwirkt, ein. Nicht wehleidig wie Mankell, sondern bis ins Detail stimmig, schonungslos wahr und tief berührend, bis zum erschütternden Schluss.

■ „Poliezei“, So., 20.15 Uhr, Arte

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