: Umzugswagen abbestellen
Der Hamburger Senat hat die Mietobergrenzen für ALG-II-Empfänger angehoben. In den vergangenen Monaten wurden 6.700 Menschen aufgefordert, sich eine günstigere Bleibe zu suchen
In Bremen werden die so genannten Zwangsumzüge für ALG-II-Empfänger vorerst gestoppt: Mit einem gemeinsamen Dringlichkeitsantrag forderten gestern die rot-grünen Koalitionäre in der zweiten Bürgerschaftssitzung der Legislatur, die Umzugsaufforderungen müssten reduziert und „mehr Einzelfallgerechtigkeit“ erzielt werden. SPD und Grüne hatten im Wahlkampf angekündigt, auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bezüglich der so genannten Zwangsumzüge zu reagieren. Der Antrag fordert den Senat auf, die Miete künftig nur bei „krassen Einzelfällen“ nicht mehr voll zu übernehmen – unter der Bedingung, dass nachweislich „eine angemessene Wohnung in räumlicher Nähe“ zur Verfügung steht. Außerdem solle ein Mietspiegel veröffentlicht werden, damit die Behörde künftig „die tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt“ und „die Lebensumstände“ zur Grundlage ihrer Umzugsaufforderungen machen kann. TAZ
VON ELKE SPANNER
Der Hamburger Senat hat sich einsichtig gezeigt: Zu Beginn des Monats hat er die Mietobergrenzen für ALG-II-Empfänger angehoben – und damit seine Sozialpolitik etwas den Realitäten angepasst. Rund 6.700 Haushalte hatten in den vergangenen Monaten eine Aufforderung der Sozialbehörde erhalten, die Mietkosten zu senken, sprich: sich eine billigere Wohnung zu suchen. Ab sofort werden weniger derartige Briefe verschickt – wer schon einen bekam, hat nun eine Perspektive, in der alten Wohnung bleiben zu können. Die Akten der Familien und Singles, die nicht bereits umgezogen sind, werden nun erneut überprüft.
Die neuen Höchstwerte orientieren sich am aktuellen Hamburger Mietenspiegel aus dem Jahr 2005. Das bedeutet in erster Linie, dass es keinen pauschalen Höchstsatz mehr gibt, der einheitlich für alle Wohnungen gilt. Die Mietkosten, die die Behörde maximal übernimmt, richten sich vielmehr nach dem Baujahr der Wohnung. Eine Familie mit zwei Kindern durfte bisher höchstens 576 Euro Mietkosten im Monat haben. Seit Juli übernimmt die Behörde bis zu 743 Euro. Auch die Übernahme der Betriebskosten wurde den Realitäten angepasst: Die Behörde erstattet nicht mehr länger einen Pauschalbetrag, sondern die Kosten, zu deren Zahlung die Mieter laut Mietvertrag verpflichtet sind.
Der Senat musste sich in der Vergangenheit vorhalten lassen, mit seiner restriktiven Politik Familien in persönliche Notlagen zu bringen. In vielen Fällen mussten Kinder für wenige Euro Mietersparnis im Monat die Schule wechseln und ihr soziales Umfeld aufgeben. Zudem warf die Hamburger GAL dem CDU-Senat vor, mit den Zwangsumzügen eine Ghettoisierung von Arbeitslosen in einzelnen, billigeren Stadtteilen zu betreiben. Auch auf diesen Vorwurf hat der Senat in seiner Neuregelung reagiert: Um eine heterogene Bevölkerung in den Wohngebieten zu ermöglichen, ist ein Mietaufschlag in Stadtteilen möglich, in denen weniger als zehn Prozent Arbeitslosengeld-II- und Sozialhilfeempfänger wohnen.
Das Bundessozialgericht hatte im November 2006 Vorgaben gemacht, die die Hamburger Politik als extrem restriktiv entblößten. So sind der Behörde die Wohnungen oft nicht nur zu teuer, sondern auch zu groß. Als maximal zulässige Quadratmeterzahl waren in der Hansestadt bisher Wohnungsgrößen festgelegt, die sogar unter den Standards von Sozialwohnungen liegen. „Wir sind von der falschen Annahme ausgegangen, dass es genügend kleine Wohnungen gibt“, sagte Staatsrat Dietrich Wersich (CDU) gestern. Das Bundessozialgericht hat hingegen verlangt, dass sich die Größe einer Wohnung an den Regeln über eine zulässige Sozialwohnung zu orientieren hat. Entsprechend wurden die Quadratmeterzahlen nun leicht angehoben.
Die oppositionelle GAL zeigte sich gestern erfreut, dass der Senat nun gehandelt hat. „Das entspricht genau unseren Forderungen“, sagte Gudrun Köhncke, arbeitsmarktpolitische Sprecherin. Allerdings bestehe auch auf der Angebotsseite Nachbesserungsbedarf: „Es gibt nach wie vor nicht genügend Wohnungen, die die Kriterien der Behörde erfüllen.“
Das kritisiert auch das Diakonische Werk. Sozialexperte Dirk Hauer weist darauf hin, dass der Mietenspiegel nicht das tatsächliche Wohnungsangebot am Markt abbilde: Der erfasst nämlich nur vermietete Wohnungen und nicht solche, die neu zu beziehen sind. Bei Neuvermietungen günstiger Wohnungen werde aber fast ausnahmslos die Miete erhöht, so dass ALG-II-Empfänger kaum eine Chance hätten, eine günstige Bleibe zu finden. Das Diakonische Werk plädiert deshalb dafür, einen Angebotsspiegel zu erstellen: Die Mietgrenzen müssten so festgelegt werden, dass ALG-II-Empfängern ein Segment von rund 20 Prozent der verfügbaren Wohnungen am Markt zugänglich sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen