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Der halbfinale Kater

Heute vor einem Jahr mochten die Deutschen plötzlich die Italiener nicht mehr. Und heute? Alles wie früher?

Die Stimmung war gekippt. Schon vor dem Semifinale der Fußballweltmeisterschaft 2007 gefielen sich einige Medien (auch die taz) darin – ganz hip unkorrekt –, Spaghettifresser-Ressentiments zu entstauben. Nach dem Finale aber mussten sich Menschen mit Italien-T-Shirt auch auf der Straße erhobene Mittelfinger ansehen oder als Mafiosi beschimpfen lassen. Bild rief zum Pizza-Boykott auf. Von Schwalben bis gekauften Schiedsrichtern: Ständig hörte man Gründe, warum die Italiener angeblich nicht zu Recht gewonnen hätten. Die miese Stimmung zog sich bis nach dem Finale, bei dem die meisten Deutschen für Frankreich waren. Es gab schlechte Verlierer in Deutschland. Mittlerweile ist der Spuk vorbei. Niemand hat länger als ein paar Tage einen Bogen um Pizzerien gemacht. Keiner hat jemals von einem beleidigten Fußballfan gehört, der wegen der WM seinen Italienurlaub abgesagt hätte. Das Marketing in Italien mit WM-Nutellagläsern und Weltmeister-Musik hat sich ebenfalls wieder beruhigt.

Ist also alles wieder wie früher? Nicht ganz. In Deutschland füttert eine WM-Mythologisierung die dauerhafte Etablierung nationaler Denkraster. Schon während der WM galt die Regel: Wer deutsch war, hatte für die deutsche Mannschaft zu sein. Ansonsten war „die Welt zu Gast bei Freunden“, Deutschland begrüßte sie mit winkenden Fähnchen und überraschte sie mit ungewöhnlich vielen lächelnden Menschen auf den Straßen. Die Missgunst einiger Deutscher aber gegenüber Italien nach dem Semifinale wirft noch immer ein fahles Licht auf das Freundlichkeits-Halligalli in den Wochen vor dem Semifinale.

Was war diese Freundlichkeit wert, wenn sie nur so lange galt, wie die Gäste die Gastgeber gewinnen ließen? Aber wir wissen ja jetzt: war alles nur Spaß und Spiel. Bis zur nächsten WM.

GIUSEPPE PITRONACI

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