: Der Zugriff der Hand auf die Dinge fehlt
ZUKUNFT Eine Ausstellung im Berliner Bauhaus-Archiv zeigt, was uns der große Modernist László Moholy-Nagy zum Leben in einer technisch geprägten Umwelt sagt
VON RONALD BERG
Gleich am Anfang der Ausstellung reckt sich einem die Hand von László Moholy-Nagy entgegen. „Meine rechte Hand freundlichst zur Verfügung!“, steht auf dem Blatt mit dem Abdruck von Moholy-Nagys Hand in roter Farbe. Der Abklatsch der Hand war ein Gruß an Walter Gropius zu dessen Geburtstag 1926. Wie Gropius das metaphorische Hilfsangebot aufgenommen hat, bleibt im Dunkeln. Jedenfalls hat Moholy-Nagy, der von 1923 bis 1928 am Bauhaus Leiter von Vorkurs und Metallwerkstatt war, die Schule im gleichen Jahr verlassen wie Gropius.
Das Blatt mit der Hand und etliche andere Darstellungen von Händen stehen im Berliner Bauhaus-Archiv für den zentralen Aspekt der Ausstellung über Moholy-Nagy: die Schulung der Sinne, der sich der gebürtige Ungar in seiner Arbeit als Lehrer, Künstler, Filmemacher, Grafiker, Experimentator und Theoretiker verpflichtet fühlte.
Die vom kanadischen Moholy-Nagy-Experten Oliver A. I. Botar erarbeitete Ausstellung ist keine Schau in kunsthistorischem Sinne. Worum es Botar im Kern geht, ist die Frage, was Moholy-Nagy uns für den Umgang mit technischen Medien noch immer zu sagen hat.
Denn Moholy-Nagy hat in den 20er Jahren vieles von dem angedacht und vorweggenommen, was sich erst viel später im aktuellen Medienalltag wiederfinden sollte: zum Beispiel so etwas wie die „Konstruktionsorgel“. In der Ausstellung handelt es sich dabei um einen handelsüblichen Computer, der in einem altmodischen Holzkasten eingelassen ist. Diese Adaptation „nach Visionen von Moholy-Nagy“ ermöglicht es, Kunst selber zu machen. Dazu liefert der Kasten diverse konstruktivistische Formen und frei dazu wählbare Farben, aus denen am Bildschirm Kompositionen gebaut werden können. Die sehen dann ähnlich aus wie auf den Gemälden von Moholy-Nagy, von denen sich natürlich auch eine Menge in der Ausstellung finden.
Und tatsächlich geht es Moholy-Nagy bei seinen „Werken“ auch nicht in erster Linie um Kunst im klassischen Sinne. Vielmehr sind Gemälde, Grafiken, Modelle etc. als Medien zu charakterisieren, Medien der Sinneserfahrung und Sinnesschulung. Moholy-Nagy ging es schlicht gesagt um die Erziehung des Menschen für das Leben in einer technisch geprägten Umwelt.
Anregungen für dieses Anliegen lieferte die Mitwirkung von Künstlern in der ungarischen Räterepublik von 1919. Hier konnte Moholy-Nagy – damals noch Jurastudent in Budapest – lernen, dass Kunst und Künstler wirklich das gesellschaftliche Leben zu ändern vermochten. Einflussreich wurde auch Moholy-Nagys Begegnung mit der Lebensreformbewegung – entscheidend vermittelt durch die Person von Lucia Schulz. Lucia Moholy, wie sich nach ihrer Heirat 1921 hieß, führte ihren Mann in dieses Gedankengut ein. Das Paar verbrachte in den 20ern regelmäßig die Ferien in Landkommunen mit Körperarbeit gemäß den Ideen der Biozentrik.
Diese Erfahrung mit Körper und Sinnen übernahm Moholy-Nagy auch für seine Lehre – zuerst am Bauhaus und ab 1937 in Chicago am New Bauhaus und später am Institute of Design. In der Berliner Schau sind die nachgebauten Requisiten dieser Sinnesschulung wie Stoffproben und handschmeichelnden Holzformen nun auch buchstäblich greifbar. Mit seiner Schulung der Sinne reagierte Moholy-Nagy auf eine allgemeine Entsinnlichung im modernen Alltagsleben, wo die Technik etwa den direkten Zugriff der Hand auf die Dinge fast überall ersetzt.
Moholy-Nagy hat in der Technik aber zugleich Möglichkeiten gesehen, wie den Sinnen wieder auf die Sprünge zu helfen wäre. Etwa beim Neuen Sehen, also der Kopplung der Fotokamera mit dem Auge, um eine völlig neue Weltsicht zu generieren. In diesem Sinne operierte Moholy-Nagy auch bei anderen technischen Medien. Seine Telefonbilder etwa nehmen die Konzeptkunst vorweg. Man übermittelte einen Rastercode zur Herstellung eines Emailleschilds an die ausführende Firma übers Telefon. Das Bild mit seinen Balkenformen gelang. Die Ausführung des Schilds sei zweitrangig, es zähle die Idee, meinte Moholy-Nagy.
„Licht statt Farbe“, war ein anderer Slogan Moholy-Nagys. Die technischen Möglichkeiten, mit Licht zu arbeiten, erschließt der Bildkunst neue Dimensionen etwa beim Lichtdruck, den Moholy-Nagy prototypisch im Fotogramm vorführt, und im Kino als neuem Gesamt(kunst)werk, das nicht nur Licht und Ton, sondern auch Gerüche vereinen sollte.
Die in der Ausstellung gezeigten Filme von Moholy-Nagy aus den frühen 30ern, Großstadtimpressionen aus Berlin, Marseille und vom Zigeunerleben, wirken von heute aus gesehen allerdings nicht sonderlich avantgardistisch. Und manche Neuerung wie das abstrakte Lichtspiel, das sich im Einsatz des „Licht-Raum-Modulators“ in der Ausstellung zeigt, konnte das klassische Drama auf der Bühne auch nicht ersetzen.
Trotz manch falscher Erwartung zeigen die von Botar in die Ausstellung integrierten, zeitgenössischen Künstler, dass Moholy-Nagy sehr wohl noch zu inspirieren vermag. So hat Erika Lincoln die Datenverarbeitung in die sinnlich erfahrbare Dinghaftigkeit rückübersetzt. Ihr Gewebe aus Plexiglaspfeilen, das sich unter der Decke an Schnüren wellenförmig bewegt, inkorporiert einst in den Computer eingespeiste Wetterdaten.
Die Wiederkehr des Sinnlichen, auch das also ist eine Reaktion auf Moholy-Nagy. Wie überhaupt die Ausstellung beweist, wie ungeheuer reich, tief und vielfältig Moholy-Nagy gewesen ist, so dass man sagen kann: Er bleibt eine der zentralen Gestalten der Moderne.
■ bis 2. Februar 2015, Bauhaus-Archiv, Berlin., Katalog (Lars Müller Publishers) 35,00 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen