: Blass ist die Angst
Sex gegen den Tod: „Ein Jahr ohne Liebe“ im Kino
Pablo (Juan Minujín), ein aidskranker Schriftsteller, Anfang dreißig, ist gerade aus Paris nach Buenos Aires zurückgekehrt. Er lebt mit seiner Tante in einer heruntergekommenen Wohnung und gibt ab und an Französischunterricht. Per Anzeige sucht er seinen „Meister“, einen starken Mann für Sex und Liebe. Auf der Suche streift er durch die SM-Szene von Buenos Aires und beginnt ein Tagebuch, in dem er über seine Aids-Erkrankung, die Besuche beim Arzt, Abenteuer in Pornokinos und bei Sexpartys schreibt.
Der Regisseur Anahí Berneri erzählt die dokumentarisch gefilmte Geschichte mit sparsamen Mitteln. Eher beiläufig erfährt man, dass Pablos Bruder sich vor Jahren das Leben genommen hat und sein letzter Freund schon an Aids gestorben ist. Alles spielt 1996, in dem Jahr, als man in der Aids-Therapie dazu überging, Patienten nicht mehr mit dem hochgiftigen AZT, sondern mit einem Medikamentencocktail zur Eindämmung der Virenproduktion zu behandeln. Die durchgehend eher blassen Farben des Films, die manchmal mehr ins Grünliche, manchmal mehr ins Bräunliche tendieren, betonen die zeitliche Distanz.
Ganz allmählich steigert „Ein Jahr ohne Liebe“, 2005 mit dem „Teddy“ für den besten schwul-lesbischen Film ausgezeichnet, seine Intensität. Der schwächer werdende Held verliebt sich auf einer SM-Party in einen geheimnisvollen Mann. Er wird Teil der sadomasochistischen Inszenierung eines anderen, die so überzeugend wie angsteinflößend geschildert wird.
Der Zuschauer – und darin liegt die Meisterschaft dieses Films – wird zum Teil dieser Inszenierung. Die Spannung und Angst, die der Film aufbaut, entspricht dem masochistischen Prinzip, in dem die Strafe – ganz christlich (erst das Leiden, dann das Himmelreich) – die Bedingung der Lust ist. Sex wird vor allem als Sucht und düstere Arbeit gegen den Tod dargestellt. Der Film selber funktioniert also wie das „masochistische Theater“, von dem Gilles Deleuze in seinem berühmten Vorwort zur „Venus im Pelz“ spricht. Mehr zu sagen verbietet sich.
DETLEF KUHLBRODT
Xenon, bis 11. Juli, 20.15 und 22.15 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen