: Vom Hippie zum Ehrenbürger
MATALA Ein Wiedersehensfest ehemaliger Höhlenbewohner wurde zum Event auf Kreta
■ Der Ort: Matala, der Gemeinde Festos eingegliedert, hat 110 Einwohner. Während der Saison ist es vor allem durch Tagestouristen überlaufen. Dementsprechend überdimensioniert wirken abends viele Tavernen. Jeder Veranstalter hat den Tagestrip inklusive Höhlenvisite im Programm,was sich dank des Mythos der Hippiezeit erfolgreich vermarkten lässt. Nach wie vor von einzigartiger Schönheit ist der Blick auf den prähistorischen Höhlenfelsen vom relativ naturbelassenen Strand im Nordteil der Bucht.
■ Hotels: Zeus sei Dank wurden die meisten Hotels nicht in die kleine, nur etwa 250 Meter breite Sand-Kies-Bucht hineingebaut, sondern liegen landeinwärts im östlichen Teil des lang gestreckten Tals.
■ Schwimmen: Die Bucht darf sich mit dem Ökolabel Blaue Flagge schmücken, ebenso wie der FKK-Strand Red Beach. Die Strände sind „Natura 2000“-Schutzgebiete der Europäischen Union. Naturschützer kümmern sich im Sommer um die Gelege der Meeresschildkröte Caretta caretta. www.visitmatala.com
■ Buchtipp: Arn Strohmeyer: „Mythos Matala“.
VON RAINER KARBE
Mit leeren Taschen und großen Träumen kamen in den 60ern und frühen 70ern Traveller und Hippies in die verschlafene Fischerbucht in Matala auf Kreta. Eine internationale Clique von Europäern, Australiern und US-Amerikanern, darunter einige Vietnamkriegsverweigerer. Rasch wurde die Höhlencommunity an der Südküste Kretas im globalen Hippie-Universum bekannt und galt als europäischer Fixstern, als Stop-over auf dem Trail nach Kathmandu und Goa.
Jetzt kehrten einige Damalige zurück, inzwischen deutlich über 60 und gut situiert. Sie wollen noch einmal „The good spirit of Matala“ leben, drei Tage lang der verlorenen Zeit nachspüren. Gut zwei Dutzend von ihnen nehmen am offiziellen Programm teil, stürzen sich – und das hat schon etwas Surreales – mit dem offiziellen Hippies-Reunion-VIP-Pass am Bändchen um den Hals und Oleanderblüten im Haar ins Festtreiben.
Die Idee für ein Wiedersehensfest stammt vom Bremer Autor Arn Strohmeyer, dem Matala seit der ersten Begegnung 1967 Sehnsuchtsort geblieben ist. Er hatte Ehemalige angemailt und deren Fotos und Erinnerungstexte zum Buch „Mythos Matala“ (Verlag Balistier) verarbeitet. Seine Einladung zur Buchpräsentation nebst Strandparty in Matala stellte er ins Internet. Innerhalb weniger Tage wurde das Treffen Thema in Portalen und Blogs. Maria Petrakogiorgi, Bürgermeisterin der Gemeinde Festos, zu der Matala gehört, erkannte das Marketingpotenzial. Eine Open-Air-Party, so die Überlegung, könnte Matala als Festivalort mit internationaler Ausstrahlung etablieren und den Trend sinkender Touristenzahlen umkehren. Waren nicht schon vor 40 Jahren die Hippies unfreiwillig Pioniere der Tourismusentwicklung gewesen?
Ein Event-Manager wurde eingestellt, das Hippies Reunion Matala Festival kreiert. Das Kalkül ging auf. Die griechischen Medien hatten ihr Sommerthema gefunden, Zeitzeugen wurden interviewt, Arn Strohmeyer wurde zum „Man behind the Festival“.
Mit Shuttlebus, bei freiem Eintritt und kostenlosen Campingmöglichkeiten kamen über 40.000 zum Chillen, Baden und Abrocken. Junge Städter aus Iraklion und Rethimnon, aber auch Familienclans aus den Bergdörfern des Psiloritis und den Tomatendörfern der Messara-Ebene. Alle wollten die zurückgekehrten „Chippies“ sehen, die den Mythos von Matala ebenso prägen wie Göttervater Zeus, der hierher in Stiergestalt die phönizische Prinzessin Europe entführte.
Auch das Dorf Matala fieberte. Linda Crast und Katherina Panagaki, vor deren Shops „Tipota“ und „Prisma“ sich die heutige Hippieszene trifft, initiierten per Internet eine Straßenmalparty: Das Asphaltgrau wich einem bunten Blumen- und Comicteppich. „Als wir am Vorabend durch Matalas Gässchen schlenderten, hatten wir das verrückte Gefühl, in das poppige Cover von Stg. Peppers Lonly Heart Club Band zu treten“, sagten zwei Besucher.
Für viele Ehemalige gibt es ein Wiedersehen. Erinnerungen werden ausgetauscht mit Vangelis von der legendären Taverne Delfini, mit Angeliki, die noch heute einen kleinen Laden betreibt. „Es waren gute Leute, aber sie waren arm, sie hatten nicht viel Geld, für mich waren sie gute Kinder!“, erinnert sich die 80-jährige Alexandra, die in den 60ern ihrem Vater Manolis Spithomanolis in dessen kleinem Kafenio zur Hand ging.
Die „Heimkehrer“ wollen noch einmal in „ihre“ Höhle. Sie halten Ausschau nach ihren Appartements, den Feuerstellen, den in Wände eingehauenen Schränken, Sitz- und Liegebänken, nach Resten der Bemalung. Suzie Young, die abwechselnd in Winchester und in Neuseeland lebt, bettet sich noch einmal auf die Steinbank und träumt.
Shirley Read-Jahn, Gartenarchitektin aus San Francisco, und ihre Schwester Pam aus Sidney bewohnten 67 Cave No.1, eine der schönsten neben The Globe, The Hilton, Hexenküche oder Kazantzakis-Cave. Die Amerikanerin Betsy Braden und ihre englische Freundin Liz residierten 69 im „luxuriösen“ Globe, während aus den Tavernen Beatles-Songs dröhnten wie „Eleanor Rigby“ oder „Back in the U.S.S.R.“. Auch der Österreicher Ludwig Pühringer hat „seine Höhle“ im dritten Stock anhand alter Fotos wiedergefunden: „Abends haben wir Retsina geholt vom Mermaid oder Delphini und sind damit hoch – ich muss eine Gazelle gewesen sein.“ Der Großhandelskaufmann Ludwig landet 1968 in Matala. „Ich hab mir gesagt, das kann’s nicht sein, bis ans Lebensende irgendwem Schrauben oder Eisenblech zu verkaufen. In Österreich war ja nix los zu der Zeit. Wir wollten was erleben und haben aus der ganzen Welt dort Leute getroffen, das war toll.“
Es wird ein mitreißendes Event, Matala ist ausgebucht, die Tavernen und Bars sind überfüllt. Beim Abschiedsessen im Restaurant Corali lädt die Bürgermeisterin Maria Petrakogiorgi die Ehemaligen vorsorglich ein, im nächsten Jahr wiederzukommen als „Ehrenbürger Matalas“.
Die Einzigen, die sich langweilten, waren die zwölf Sanitäter. Über 20.000 tanzende und singende Menschen versetzten bereits Pfingstsamstag die erstmals autofreie Bucht von Matala in Schwingungen. Rasch waren die letzten Souvlakia verkauft, aber mit griechischer Improvisationskunst wurden am Sonntag von irgendwoher 30.000 neue Portionen an den Strandgrill gezaubert. Das Programm bot allen etwas: Auf der großen Bühne vor grandioser Höhlenkulisse begeistern die Gruppen und Bands mit Hits der 60er und 70er, Blues und Soul, aber auch mit traditionellen kretischen Tänzen und Lyraspiel. Dazwischen gab es ein Feuerwerk mit leuchtendem Friedenszeichen vor dem illuminierten Felsen. Und für die Jungen spielt Arrapago Midnight auf, die griechisch-italienische Rockband aus Matala.
Bis tief in die Nacht sitzen dann alle „Ehemaligen“ nostalgisch im „Sunset“ zum gemeinsamen Mahl. Und es gibt unendlich viel zu erzählen, von der Hippiehochzeit im Winter 68, von der Bäckersfrau Anthousa Zourithakis, von allen Mama genannt, vom Fischer Georgios Germanakis, der noch immer dafür sorgt, dass der Spruch „Today is live. Tomorrow never comes“ an der Kaimauer aufgefrischt wird, von den Lagerfeuernächten, der Musik, der Scheißhöhle und, und, und. „Sonntags war Griechentag“, erinnert sich Betsy Braden, „wir waren der Zoo, sie kamen, um zu gaffen.“ Jetzt beim Fest stehen sie erneut im Fokus, wie Arn, der trotz alledem seine hanseatische Gelassenheit bewahrte: „Ich wurde auf der Straße umarmt und abgeküsst, die wollten sich mit mir fotografieren lassen, und ich habe über 30 Interviews gegeben.“
Auch einige Klischees wurden zurechtgerückt: Am Strand fanden keine Orgien statt, es wurde nicht einmal nackt gebadet. Matalas „sündige Meile“ war der Kokkini Ammos (FKK-Strand Red Beach), 20 Minuten entfernt, mit steilem Auf- und Abstieg.
Weder Bob Dylan noch Cat Stevens oder Janis Joplin waren in Matala. „Georg Danzer, der österreichische Liedermacher, lebte 67 in meiner Nachbarhöhle“, bezeugt Arn. Auch Joni Mitchell wohnte 69 oder 70 einige Tage hier. Joni besingt ihre unglückliche Liebe zu einem der Hippies im Song Carey, in dem aber auch ihre Distanz zur Matala-Szene deutlich wird:
„The wind is in from africa / Last night I couldn’t sleep / Oh, you know it sure is hard to leave here Carey / But it’s really not my home.“
Ausgespart wird in diesen Tagen die Erinnerung an die Vertreibung der Blumenkinder aus dem Paradies Anfang der 70er, als immer mehr gedealt wurde, regelmäßige Razzien durchgeführt und schließlich die Höhlen zur archäologischen Stätte deklariert wurden. Beschworen wird das Gute: die großherzige Gastfreundschaft und die erstaunliche Toleranz der Kreter. Das friedliche Zusammenleben mit Menschen aus unterschiedlichsten Ländern. Matala, glauben alle, habe sie nachhaltig verändert und den weiteren Lebensweg mitbestimmt.
Paradoxerweise sagten alle: „Wir sind nie Hippies gewesen. Wir waren Traveller, Hitcher oder unternahmen eine ‚Grand Tour‘ durch Europa.“
Ante portas, am Ortseingang, hatten die heutigen Hippies der Region Stände aufgebaut. Unter ihnen Renate Pfander aus Stuttgart, eine echte Umsteigerin, die die Flower-Power-Ideale des friedlichen Umgangs mit Mensch und Natur bis heute konsequent lebt. Ihre Schmuckkollektion hat sie selbst entworfen und produziert. Nach der kaufmännischen Lehre kam sie in den 70ern nach Matala. Sie schließt sich den Hippies an und zieht mit ihrem Partner mehrmals den Hippie-Trail entlang: Türkei, Iran, Afghanistan, Indien, Nepal. „Für mich war Matala der freie Punkt auf der Welt, nicht zu östlich oder westlich, und ist meine Heimat geworden.“
Über das erfolgreiche Fest freut sie sich mit den Einheimischen, auch wenn ihr ein bisschen das alte Feeling fehlt: „Wir haben immer Lagerfeuer gehabt. Das offene Feuer und Livemusik ohne Elektronik, dafür mit lauten Trommeln habe ich sehr vermisst. Das hat so schön gehallt.“
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