: Touristen lassen Mitte absaufen
Der Berlin-Boom zeigt Nebenwirkungen: Kneipiers in Mitte klagen über britische Sauftouristen. Mit dem Problem müssen die Wirte selbst fertig werden, sagt der Hotel- und Gaststättenverband
VON ANNA LEHMANN
Berlin brummt, die Touristen kommen in Scharen, doch ausgerechnet einigen Kneipiers bereitet das Kopfschmerzen. „Sie fallen über die Läden her wie Heuschrecken.“ Otto Gluger, Inhaber des „Studio 54“ im Tacheles, klagt über Gäste, die er lieber nicht hätte. Seine Kneipe wird im Rahmen geführter Touren regelmäßig von großen Gruppen trinkfreudiger Berlin-Besucher heimgesucht, vor allem von Amerikanern und Briten. „Sie kommen mit bis zu 80 Leuten, sind laut und pinkeln auf die Kellertreppe“, erzählt Gluger grimmig. „Manche Gruppen lasse ich gar nicht mehr rein.“
Noch nie kamen so viele Touristen nach Berlin, allen voran Briten, gefolgt von Amerikanern und Italienern. Insgesamt besuchten 140 Millionen Menschen – Tagesgäste eingerechnet – die Stadt 2006. Die Besucherzahlen schnellen vor allem nach oben, seitdem Billigairlines wie EasyJet die Stadt 2003 als idealen Anflugort entdeckten. Sosehr ihn dieser Aufschwung freue, der intensive Kneipentourismus sei auch ein Problem, räumte Hanns Peter Nerger, der Chef der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM), im taz-Interview ein (taz vom 16. 7.).
Das Tacheles ist eine Station auf der Route zwischen Hackeschem Markt und Friedrichstraße, die Veranstalter wie newBerlin und InsiderTours für ihre „Pub Crawls“, Kneipentouren, ausgesucht haben – in Absprache mit den Wirten. Das Prinzip ist einfach: Für 12 Euro lotsen Guides die partyhungrigen Berlin-Besucher durch vier oder fünf „Insider-Bars“, wo sie trinken können bis zum Umfallen.
Die Wirte versuchen jeder für sich, mit den Gästescharen fertig zu werden. Im „Aufsturz“, ebenfalls in der Oranienburger Straße, kündet ein Schild auf Englisch davon, dass größere Gruppen ohne Anmeldung nicht eingelassen werden. „Sie machen die Stimmung kaputt“, heißt es zur Begründung.
Schräg gegenüber im „Oranium“ setzt man auf die Staatsmacht: „Wenn wir keinen Alkohol mehr ausgeben, werden die Leute manchmal aggressiv. Dann rufen wir die Polizei“, sagt Geschäftsführer Jens Roeder. Die Wache sei zum Glück gleich um die Ecke. Probleme gebe es vor allem mit Briten, die „laut, auffällig und immer betrunken“ seien.
In den hochgestylten Lokalen am Hackeschen Markt sind die Trinktouristen weniger ein Problem: „Wir haben abends Türsteher und eine Kleiderordnung“, sagt die Serviceleiterin des „AM to PM“-Clubs, Julia Wehrmann. Eine bestimmte Klientel komme daher gar nicht erst rein.
Im „Weihenstephaner“ versuchen die Inhaber, den Bierkonsum selbst zu steuern. „Wir veranstalten ‚Beer Tastings‘ und geben innerhalb von zwei Stunden vier kleine Biere aus“, erzählt Pressesprecher David Eckel. Mehr gebe es nicht, höchstens noch einen bayerischen Enzian-Schnaps zum Abschluss. Die britischen Gäste seien hier gern gesehen.
Dem Hotel- und Gaststättenverband sind die Nöte einiger Wirte ebenfalls gänzlich fremd. Deshalb sieht Geschäftsführer Thomas Lengfeder auch keinen Handlungsbedarf: „Jeder Wirt hat doch sein Hausrecht, von dem er Gebrauch machen kann.“
Doch mit Rauswurf droht Kneipier Gluger nur im äußersten Fall – gezwungenermaßen. Die einstigen Stammgäste sind von allein gegangen, die neuen braucht er, um zu überleben. Deshalb lässt er sein Lokal auch weiterhin als Szenetreff bei den Sauftour-Veranstaltern listen.
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