: Diffuse Gestalten im Park
Verschwindende Kulturen: Mit ihrem Stück „Freizeitpark Berlin“ setzt die Oper Dynamo West ihre Erkundung des alten Westberlin zwischen Ku’damm und Tiergarten fort
Etwas geht verloren, etwas anderes entsteht. Die Angst des alten Berliner Westens, dass nach der Degradierung des Bahnhofs Zoo zwischen Ku’damm und Tiergarten nur noch tote Hose herrscht, brachte ein neues Kunstprojekt hervor: die Oper Dynamo West. Verschwindenden Kulturen muss man auf der Spur bleiben und ihre Rituale genau beobachten, so ungefähr muss das Credo dieses Zusammenschlusses von Performern, Dramaturgen, Choreografen, Komponisten und vielen anderen Bühnenwerkern lauten.
„Die West-Berliner City: Leerstand in den Glanzpalästen. Harald Juhnke ist tot. Brigitte Mira auch. Die Lasershow im Zoopalast wird abgeschafft. Das Schillertheater liegt brach“, stand als Motto über ihrer ersten Vorstellung, der „Ein_Führung“, im Juli vor einem Jahr. Da führten sie ihre Besucher neben den Ullrich-Supermarkt und zu Beate Uhse, in ein Hochzeitsmodengeschäft und zur Musikschule und skizzierten in kurzen Spielszenen Porträts von Verkäufern, Kassiererinnen, Sicherheitsmännern und Polizisten. Die Orte, die sie sich ausgesucht hatten, und die Personen, die davon erzählten, waren sehr gut ausgewählt, um ein Bild der Dienstleistungsmeile zu zeichnen. Allein die Texte, die auf Interviews basierten, wirkten oft eine Spur zu naiv, und das emphatische Spiel zu begeistert über die Banalität des Alltags.
Seitdem spielten sie im Bahnhof Zoo selbst „Fort_Führung“, im Bikinihaus „En Tropia“ und im Europa-Center „Hotel Korea“. Und immer leuchtete die Stadt selbst durch alle Szenenbilder hindurch.
Die Künstler von Dynamo West schreiben sehr schöne Konzept- und Pressetexte, schillernd durchsetzt von einem ironisch gewendeten, kulturanthropologischen Vokabular und voll von dicht gestrickten Beobachtungen. Die Produktionen dagegen sind teils noch etwas lose, zwischen Recherche und Aufführung bleibt einiges auf der Strecke.
Für den „Freizeitpark Berlin“, ihre aktuelle Produktion, die diesmal in einem geschlossenen Raum, einem der S-Bahnbögen zwischen den Stationen Tiergarten und Bellevue aufgeführt wird, haben die Choreografin Kirsten Burger und die Fotografin Philine Rinnert das Prinzip Stadt–Park untersucht. Zuerst kommt man in den Keller unter den Bögen und sieht Rinnerts Fotos, kaum vergrößert, aus dem Tiergarten. Papierkörbe, tote Vögel, eine Picknickgruppe aus der Ferne, Angler, Menschen, die im Gebüsch verschwinden, diffuse Gestalten um eine Bank. Zäune. Die Kamera bleibt auf Distanz, die Kleinheit der Bilder verstärkt das Abstandhalten. Den Dunst von Bier und ungewaschenen Kleidern vermutet man bei der Annäherung an viele diese Gruppen und möchte ihnen das unauffällige Wuseln in der Tiefe des Raums als Schutz auch lassen.
Im Raum darüber hört man dann erst eine Toncollage über den Versuch, neutral zu bleiben: zu beschreiben, was man sieht, ohne zu bewerten. „4 Menschen auf einer Bank. Schweigen. Blick aufs Wasser.“ Man hört, wie schwer es ist, bei dieser Lakonie zu bleiben. Ein lohnenswerter Ansatz, der aber im Tanzstück, das sich anschließt, nicht fortgeführt wird. Die Bilder, in die Kirsten Burger ihre beiden Tänzer Anja Sielaff und Tobias Wegner hineinschickt, sind ganz allgemeine Großstadtszenen. Der Versuch, eine Frau anzusprechen; die Aggressivität des Zurückgewiesenen; die Angst davor, nicht gesehen zu werden; die Unfähigkeit, andere wahrzunehmen. Darüber rumpeln die S-Bahn und Fernverbindungen, die am Zoo nicht mehr halten.
Zwei schmale Spinde stehen auf der Bühne, und in ihnen verschwinden Anja Sielaff und Tobias Wegner immer wieder, als ob sich ein Sargdeckel über den Lebenden schließen würde, kaum, dass sie sich in ihre Wohnung zurückziehen. Draußen aber bauen sie andere Mauern um sich auf. Die werden einmal auch von der Musik geliefert, einer Disco-Techno-Welle, die beide zu wildem, fast schmerzhaft exaltiertem Tanzen verführt – ein Aus-sich-Herausgehen, das aber ohne Öffnung für ein Gegenüber bleibt.
Der Rückzug ins Private, die Einsamkeit der Freizeit, die Ausbruchsversuche, die aus der Ichbezogenheit nicht herauskommen – all das passt zwar zum Titel „Freizeitpark Berlin“, hat aber kaum noch den besonderen Geruch des Tiergartens. Dessen Witterung muss man dann schon selbst wieder aufnehmen. Na, und wenn schon. Sind ja nur ein paar Schritte bis dahin.
KATRIN BETTINA MÜLLER
„Freizeitpark Berlin“, S-Bahnbogen 460 in der Bachstraße, 20. und 21. Juli, 20 Uhr
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