: Die verschenkte Mauer
BRUCHSTÜCKE Die meisten Mauer-Gedenkorte gibt es in Berlin. Doch Teile des Original-Bauwerks stehen in ganz Deutschland verteilt
VON BARBARA BOLLWAHN
Als die Grenze geöffnet wurden, konnte es gar nicht schnell genug gehen, die Mauer abzureißen. Jetzt, fast 22 Jahre nach ihrem Fall, kann es gar nicht genug Orte geben, die die Teilung sichtbar machen. Selbst ein ausgedehnter Jahresurlaub würde nicht reichen, wollte man all die Orte in Deutschland besuchen, an denen an die Mauer und die Opfer der Teilung erinnert wird. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat zum 50. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August die Dokumentation „Erinnerungsorte an die Berliner Mauer und die innerdeutsche Grenze“ herausgegeben. Darin sind nach Bundesländern sortiert 320 Orte aufgeführt: Gedenkstätten, Museen, Originalmauerteile, Plastiken, Skulpturen, Gedenktafeln,- stelen,- steine- und -kreuze, Grenzpfähle, Findlinge, Plätze, geschleifte Höfe oder ganze Dörfer.
Die Dokumentation ist im Rahmen des Projekts „Erinnerungsorte an die kommunistischen Diktaturen“ entstanden, für das die Bundesstiftung etwa 5.000 Denkmäler, Gedenkzeichen, Museen und Gedenkstätten erfasst hat, die weltweit in 64 Ländern „an die Opfer des Kommunismus“ sowie „an die Überwindung der kommunistischen Diktaturen“ erinnern.
Mit 92 Gedenkorten führt naturgemäß die ehemals geteilte Stadt Berlin – mit der East Side Gallery, der Mauergedenkstätte Bernauer Straße, dem Mauermuseum „Haus am Checkpoint Charlie“, Informationstafeln zu gescheiterten Fluchtversuchen, Kunstobjekten und vielem mehr – die Liste an. Doch längst stehen mehr Originalteile der Mauer außerhalb der Hauptstadt. Das liegt unter anderem auch an der Axel Springer AG, die 33 Mauersegmente gekauft und anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls jedem Bundesland eins vermacht hat, die seitdem vor Landtagen oder auf öffentlichen Plätzen stehen.
Aber auch Privatpersonen haben Teile der Mauer erworben. In Weiden in der Pfalz befinden sich drei Mauerstücke, die ausgerechnet von dem Inhaber eines Bauschutt-Recycling-Unternehmens stammen, der 1990 vom Berliner Senat den Auftrag erhielt, zwei Drittel der Mauer abzureißen. Ursprünglich wollte der Unternehmer das Kriegsverbrechergefängnis in Spandau niederreißen, in dem der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß nach den Nürnberger Prozessen einsaß. Stattdessen zerlegte er vier Jahre lang 200 Kilometer der Mauer in ihre Einzelteile und verarbeitete den Großteil zu Bauschutt. Prinz Charles fuhr mit einem Rolls-Royce auf der Baustelle vor, um sich die Abbrucharbeiten persönlich anzuschauen. Einige Segmente ließ der Bauunternehmer heil. Zwei überließ er einem Kunstverein in Weiden für eine Installation, eins ziert seine Hofeinfahrt. Wie lukrativ die Mauer nach ihrem Fall geworden war, zeigt sich an dem, was der Unternehmer, dessen Firma längst pleite ging, später sagte: „Vielleicht hätte ich den Auftrag auch einfach verkaufen sollen.“ Von einem Mitbewerber seien ihm damals sieben Millionen D-Mark geboten worden.
Ein Düsseldorfer Augenarzt erwarb Anfang der 90er Jahre drei Mauersegmente, nachdem er in der Zeitung gelesen hatte, dass Teile der Mauer verkauft wurden. Eins stellte er in seinen Garten, die anderen zwei bot er der Stadt Meerbuch als Geschenk an. Schließlich bewarb sich der Schulleiter des örtlichen Gymnasiums. Als sich im Mai dieses Jahres die Verabschiedung des Grundgesetzes zum 62. Mal jährte, wurden die tonnenschweren Teile auf dem Schulhof eingeweiht. Der Direktor stellte extra den Schulgong ab, damit die Schüler die Nationalhymne mitsingen konnten.
Auch der CSU-Bundestagsabgeordnete und jetzige Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer, der gerade gegen die „massenhafte Zuwanderung“ ins mauerlose Deutschland Stimmung macht, erwarb ein Stück der Berliner Mauer. Er ließ es in seinen Garten transportieren und schenkte es später dem Freistaat Bayern, der es als Denkmal im Englischen Garten in München aufstellte. Auch der bekannte Gastronom Friedel Drautzburg, einst vehementer Gegner des Hauptstadtumzugs von Bonn nach Berlin, der 1997 dann doch an die Spree kam und seitdem seine „Ständige Vertretung“ in Berlin-Mitte betreibt, ist ein Mauer-Stifter: Ein Segment befindet sich vor dem Hauptsitz der Deutschen Welle in seiner alten Heimat Bonn, ein zweites vermachte er seiner Heimatstadt Wittlich, ein drittes steht gegenüber von seinem Lokal.
Ein Mauerteil hat seine letzte Ruhe im Garten von Altbundeskanzler Helmut Kohl in Ludwigshafen-Oggersheim gefunden. Vor wenigen Tagen schenkte der Chefredakteur der Bild-Zeitung es ihm, für seine Verdienste um die Einheit. Und wer weiß, vielleicht landet ein Stück der Mauer bald im Guinnessbuch der Rekorde. Ein solcher Antrag läuft zumindest für ein Teil, das auf dem Dach des 103 Meter hohen Kollhoff-Towers am Potsdamer Platz als Teil einer Ausstellung gelandet ist. Es erhebt den Anspruch, das höchste Mauerstück der Welt zu sein.
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