: Das Ende der Fußball-Apo
Ein Generationenkonflikt spaltet die Wilde Liga, gegründet von Freizeitkickern, die lieber ohne Schiedsrichter und übertriebenen Ehrgeiz spielen. Die neuen Teams können sich nicht dran gewöhnen
von EIKEN BRUHN
Die Namen sagen eigentlich alles. Die Wilde Liga, gegründet 1993 von Bremer Freizeitkickern, die Vereinssport nicht leiden konnten, ist nicht mehr das, was sie einmal war. „Roter Stern Bremen“ und „Vibrator Moskovskaya“ hießen früher die Topmannschaften, heute spielen die „Prollen mit Stollen“ und der „1. FC Fuck United“ um die Meisterschaft. Schmerzhafter noch für Spieler und Fans der Traditionsklubs: Vibrator, der viermalige Sieger im Kampf um die Deutsche Alternative Fußballmeisterschaft (DAM) und Roter Stern, der 2002 die DAM für sich entschied, stiegen letztes Jahr in die zweite Liga ab. Die war vor zwei Jahren nur deshalb gegründet worden, weil immer mehr neue Teams wild sein wollten. Und das in einer Liga, in der schon bei wenigen Mannschaften regelmäßig Spiele wieder abgesagt werden mussten, weil sich nicht genügend Fußballer finden. Aus Personalmangel traten bei der diesjährigen DAM die langjährigen Bremer Gegner Vibrator und „Stahl Eisen“ gar zusammen an.
„Da löst sich etwas auf“, sagt Fernando Guerrero, 42 Jahre alt, Wirt der Eckkneipe „Eisen“ im Viertel und Mitgründer sowohl von Stahl Eisen als auch der Schnurrbartträger-freien Liga. Anders als früher während des ausgedehnten Studiums fehle vielen jetzt die Zeit, am Wochenende sind die Spieler als Familienväter gefragt. Und auch der Körper mache eben nicht mehr alles mit, sagt Guerrero. „Wir werden alt.“ Das wäre alles nicht das Problem, träfen sie nicht bei den Spielen auf Teenager und Anfangzwanziger – „auf dem Platz pöbeln sie dich an und sonst würden sie dich siezen“. Zwar waren und sind auch die Traditionsklubs immer altersgemischte – selten geschlechtsgemischte – Mannschaften, aber in den neuen spielen überwiegend Jüngere – ohne Verständnis für die Zipperlein ihrer Gegner, wie Guerrero beklagt. „Die gehen ohne Rücksicht in die Zweikämpfe.“ Dass ihm die Spiele – im Gegensatz zum Training – mittlerweile keinen Spaß mehr machen und er sogar ans Aufhören gedacht hat, liegt allerdings vor allem daran, dass die alten Ideale über den Deister gehen. „Früher waren wir so was wie die APO des Fußballs“, erinnert sich Guerrero, „anarchischer und politischer.“ Das Bier danach war mindestens genau so wichtig wie das Spiel selbst, für einige vielleicht sogar der Hauptgrund anzutreten. Und bei allem Ehrgeiz auf dem Platz – „gewinnen wollen wir natürlich auch“ – sollte man immer noch in der Lage sein, eine strittige Situation auch ohne Schiedsrichter zu klären, findet Guerrero. Der Schieri ist nämlich genauso verpönt wie Vereinsspieler, wie auf der Homepage der Wilden Liga erklärt wird – für diejenigen, die „neu in der Liga sind und deshalb die Rituale und Verhaltensformen nicht einwandfrei beherrschen“.
Tatsächlich sei es nicht so ganz einfach, „allen Leuten den Spirit zu vermitteln“, räumt Christian Tipke von Fuck United ein. Er habe „Respekt vor dem, was die aufgebaut haben“ und versuche, die Regeln der Wilden Liga einzuhalten. Allerdings sei man auch im Nachteil gegenüber den alten Hasen, die geübt darin sind, sich mangels eines Unparteiischen einen Freistoß herbei zu diskutieren, sagt der 26-jährige Student. Dabei schätze er wie viele andere der „Neuen“ die „Lockerheit“ der Liga. „Ich habe 15 Jahre im Verein gespielt und auf den Leistungsdruck keine Lust mehr.“ Dass der Tabellenführer – „der Bayern München der Wilden Liga“ – immer mal wieder mit Vereinsspielern Lücken im Feld auffülle, stört auch ihn. „Das soll ja Spaßkicken sein.“
Mit Spaß hatte allerdings das letzte Spiel gegen „Ballwahn Bremen“ nichts mehr zu tun. Tipke wurde von einem Gegner so übel gefoult, dass er bewusstlos wurde, mit Nasenbeinbruch und Hirnerschütterung drei Tage im Krankenhaus lag. Das sei aber kein Zeichen für den Niedergang der Wilden Liga, glaubt oder besser: hofft er, sondern ein Ausnahmefall.
Ligagründer Guerrero, der von dem Vorfall gehört hat, schüttelt den Kopf. Vielleicht, sagt er, sei eine Seniorenliga gar keine so schlechte Idee.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen