: In den Bäumen Porzellanpapageien
Sie wollen nichts besser wissen. Sondern ein bisschen zitieren, ein bisschen witzeln, ein bisschen spielen. Und den meisten Braunschweiger Kunststudenten, die derzeit in Agathenburg ausstellen, gelingt das auch. Titel des Ganzen: „De natura artis“
Natürlich ist die Idee nicht wirklich neu: Natur und Kunst zu vergleichen. Beziehungsweise sich Gedanken darüber zu machen, in welchem Verhältnis beide stehen. Und zu fragen, von welchem Punkt an Natur künstlich wird: Seit den Gärten der französischen absolutistischen Herrscher mit ihren kunstvoll zurechtgestutzten Bäumen? Dem englischen Landschaftsgarten, der zwar wild aussieht, in Wirklichkeit aber aufs Genaueste geplant ist? Vielleicht gibt auch schlicht das Stillleben die Antwort auf die Frage, wie Natur ins Bild zu setzen sei: als tote Materie nämlich, als Insignium der Vergänglichkeit.
Allen eventuellen Unwägbarkeiten zum Trotz haben sich 23 Studierende der Braunschweiger Hochschule für Bildende Künste des Parks und der Innenräume des Schlosses Agathenburg bei Stade angenommen. Unter dem Titel „de natura artis“ haben sie Arbeiten hinein, davor und drumherum gestellt, die das Verhältnis von Innen- und Außenraum untersuchen, die Grenze zwischen Natur und Kunst und vielleicht sogar die titelgebende „Natur der Kunst“. Ob ein Baum unter bestimmten Voraussetzungen noch Natur ist, wollen sie erkunden. Oder schon Kunst. Oder bereits zu deren Rahmung degradiert. Dabei stellt sich der Eindruck ein, dass der Künstler immer schon ein bisschen eifersüchtig ist auf die Natur. Oder sich doch zumindest herausfordern will: Wenn etwa Gras durch eine Schablone wächst, die Alessandro Grassi auf die Wiese gelegt hat, als wolle er wenigstens die Form des Graswuchses steuern, wenn schon nicht dessen Tempo. Was freilich auch bald an seine Grenzen stößt, wenn die Schablone überwuchert ist.
Rahel Bruns wiederum nähert sich der Natur vom selbst gebauten Hochsitz her – nicht ihrem ersten übrigens: Sie hat solche Konstrukte auch schon in Kirchen eingebaut. Ein interessanter, wenn auch hilfloser Versuch, den Draufblick zu gewinnen, indem man existierende Gegenstände zitiert. Wie es auch Sabrina Schiekes in den Waldboden eingelassene Außenskulpturen aus Beton und Kunststoff sind: Wie Bunker-Reste oder ebenerdige Plastikfenster wirken diese Arbeiten. Wie fremde Pilze, aus Versehen in den Wald geraten, so subtil, dass man ihnen fast schon wieder Ängstlichkeit unterstellen muss. Ein bisschen verstreut und mutlos wirken sie, als habe die Künstlerin die Natur eigentlich doch nicht stören wollen – so wenig, wie es ihre Kollegen von der Land-art-Fraktion möchten, die sich – natürlich – auch hier findet.
Tatsächlich zum stolpern bringt einen dagegen Isabel Schmigas „Greyhound“, ein Ungetüm aus Robidog-Beuteln – sprich: Tüten zum Einsammeln von Hundekot –, das eklig schwarz und wurstförmig am Boden liegt wie eine verbrannte Riesenechse. Kompost, der wieder lebendig wird? Plastik, das zu bedrohlichem Leben erwacht? Natur oder Kunst? Da bekommt man beinahe Angst, das Etwas vor einem könnte anfangen, sich zu bewegen. Dass sich die Porzellanpapageien von Michaele Metzger auf den echten Bäumen bewegen, ist dagegen eher unwahrscheinlich. Aber warum lassen sie einen daran denken, dass die Chinesen, Erfinder des Porzellans, auch Vögel essen? Und haben Porzellanvögel andererseits kein Recht, auf echten Ästen zu sitzen?
Ja, man beginnt sich Irrationales zu fragen während eines Rundgangs. Wird in das Spiel mit der Illusion hineingezogen, ein bisschen angestachelt vielleicht sogar durch die Lewis-Carroll-Zitate im Katalog. Beginnt den Humor dieser Ausstellung zu verstehen, die offenbar gar nichts besser wissen will als die Kunst vergangener Ären. Sondern ein bisschen spielen, ein bisschen sinnlich sein, ein bisschen zitieren. Die auch mal ein Stillleben aus Gurken zeigt, wie das von Fotografin Anne Heusel.
Und mancher Betrachter möchte vielleicht Michaela Metzger abstoßend fleischfarbenes Rucksack-Paar anfassen dürfen, um zu fühlen, ob da auch wirklich kein Mensch drin ist. Wobei die Assoziation „Haut“ beim verwendeten Leder ja nicht abwegig ist. Die Künstlerin selbst nimmt ihre Kunstgegenstände und -kleider übrigens nicht sonderlich ernst. Sie seien „nicht tragbar“, sagt sie. „Man kann sich nur bedingt darin bewegen.“ Aber, das sei entscheidend, ihrer Kunst wünscht Metzger „guten Humor“.
Den stellen viele der gerade auf Schloss Agathenburg Ausstellenden unter Beweis – zumindest die, die sich nicht ängstlich und allzu ernsthaft an die Vorgaben der Altvorderen halten, indem sie Land-art-Skulpturen auf den Boden legen oder Hölzernes geradezu anbiedernd zwischen die Bäume stellen. Oder sich dafür entschuldigen, die Natur zu stören. Das tut man selbstredend. Aber wenn schon, dann doch bitte mit klarer Kontur. PETRA SCHELLEN
Die Ausstellung „De natura artis“ ist bis 19. 8. auf Schloss Agathenburg zu sehen.
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