: Des Künstlers Mittelfinger
STREET-ART Eines der berühmtesten Gemälde Berlins ist verschwunden. Übermalt haben es Freunde des Künstlers – aus Protest gegen die Aufwertung
Es prangt auf Postkarten und illustriert in unzähligen Reiseführern das „bunte“ Kreuzberg. Jetzt ist es weg. Von dem monumentalen Wandgemälde des italienischen Street-Art-Künstlers Blu, das einen mit zwei goldenen Uhren gefesselten Businessmenschen ohne Kopf darstellte, ist nur noch ein großer schwarzer Fleck übrig. Auch das Bild an der Brandwand daneben– zwei Menschen, die sich gegenseitig die Masken vom Kopf reißen – ist seit der Nacht zu Freitag geschwärzt. Offenbar war es der Künstler selbst, der Freunden den Auftrag gab, seine Bilder zu zerstören. Die riesigen schwarzen Flächen, die nun an der Cuvrystraße in den Himmel ragen, sind Blus Kommentar zur Lage.
Ein großes „Fuck you“ wolle der Künstler der Stadt entgegenschleudern, heißt es auf dem englischsprachigen Blog „Polysingularity“. Man könnte es auch eine Geste der Hilflosigkeit nennen: Blus Werk, 2007 entstanden im Rahmen eines Graffiti-Festivals, wollte ein rebellisches Zeichen setzen in der urbanen Landschaft. Doch zuletzt diente es sogar den Aufwertern des Spree-Ufers zur Vermarktung von wertvollem Bauland. Gerüchteweise soll Investor Artur Süsskind, der an die Brandwand die Wohnanlage „Cuvry-Höfe“ bauen will und dafür im Juli das informelle Camp auf der Brache räumen ließ, ein „Schaufenster“ für die Straßenkunst vorgesehen haben. Street-Art als Deko-Element für Investorenarchitektur: so weit wollte Blu es wohl gar nicht erst kommen lassen und ließ sein Werk lieber ganz aus dem Stadtbild tilgen.
Vielleicht wollte er damit aber auch seine Fans ärgern: Als sich die Pläne für die Cuvry-Höfe konkretisierten, forderte eine Onlinepetition, Blus Bilder unter Denkmalschutz zu stellen. Dass eine Kunstform, die ihrem Selbstverständnis nach flüchtig ist, Denkmalrang bekommen soll, ist absurd. Es ist allerdings auch eine folgerichtige Reaktion auf die Professionalisierung der Street-Art-Szene, die spätestens seit dem Riesenerfolg des britischen Künstlers Banksy Kunstmarktpreise erzielt.
Jetzt schauen sie alle in die Röhre: die „Mediaspree“-Vermarkter und Immobilienentwickler, die Berlin-Image-Produzenten. Und auch die aufrichtigen Liebhaber dieses sexy antikapitalistischen Wandbilds.
Allerdings ist das Verschwinden urbaner Gemälde so unüblich nicht: Der fußballspielende Bär etwa, der lange eine Brandwand an der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg zierte, verschwand für ein Bauvorhaben. Die bunte Hausbesetzerkunst an der Fassade der Brunnenstraße 183 wurde vom neuen Hauseigentümer in Schwarz und Gold übermalt. Auch die an einer Hauswand an der Köpenicker Straße angebrachte Parole „Die Grenze verläuft nicht zwischen oben und unten, sondern zwischen dir und mir“, ist weg. Jetzt prangt dort eine Nike-Werbung. Doch auch schon der Oben-und unten-Spruch war eine Reaktion auf den Satz „Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten“. Zu lesen war dies am Hausprojekt „Köpi“, bis Bagger dort die Mauer einrissen. NINA APIN
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