piwik no script img

ACHSE DES QUEER HOP VON SONJA EISMANNDen Mittelfinger fürs Hetero-Klischee

Gravy Train!!!! aus Oakland – die vier Ausrufezeichen stehen für die Bandmitglieder Chunx, Funx, Junx und Hunx – stürzen sich auf Amerikas liebste Obsessionen: Sex und Fressen. Sie nehmen diese Themen in eine dermaßen versaute, verque(e)re Mangel, dass sich John Waters eigentlich vor Begeisterung in die Hosen kacken müsste. Der machte sich in seinem Trash-Meisterwerk „Pink Flamingo“ auf die Suche nach der „schmutzigsten Person der Welt“, das Lo-Fi-Quartett tut seit seinem Debüt „Hello Doctor“ alles dafür, die dreckigsten Lyrics aller Zeiten aufzubieten.

Auch noch auf dem dritten Album der zwei Frauen und zwei (offensiv schwulen) Männer, wenn auch etwas weniger aggressiv: Sollen wir gemeinsam rollerskaten oder masturbieren? Wie kriege ich den schwulsten Typen der Stadt dazu, für mich als Frau zu strippen? Musikalisch haben die vier, die auf der Bühne am liebsten aus schrillen Kostümen platzen oder gleich, wie der einzige Afroamerikaner der Band, Junx, ganz nackt sind, ihre Palette des „Chipmunk Punk“ deutlich erweitert. Wo früher Booty-Raps über billigen Synthies dominierten, gibt es nun zusätzlich Referenzen an Glamrock, funky Disco, Punk-Blues und French Pop. Aber der Mittelfinger ins Gesicht einbetonierter Hetero-Klischees, der bleibt ausgefahren.

Gravy Train: „All The Sweet Stuff“ (Cochon/Cargo Records)

Gay Schrank mit Gute-Laune-Fach

Auch wenn Senior, der schwule Schrank des dänischen gay/straight Jungsduos Junior Senior, für Gravy Train beim Stück „Club Situation“ mitgewirkt hat – das zweite Album der beiden Jütländer ist meilenweit von deren Garagensound entfernt. Wo es bei Gravy Train rumpelt und scheppert, glänzt auf „Hey Hey My My Yo Yo“ der blank gewienerte Partysound. Spätestens seit dem Ohrwurm der ersten Platte, „Move Your Feet“, den alle im Ohr hatten, ohne vermutlich je zu wissen, dass er von Junior Senior war, hat man das Pärchen dort einsortiert, wo man sich eigentlich nicht mehr hintraute: im Gute-Laune-Fach.

Junior Senior klingen wie das sympathische Update dessen, was sich im letzten Jahrtausend als „Big Beat“ analog zur Dot.com-Blase aufblähte. Doch statt wie weiland Fatboy Slim mit leicht konsumierbaren Beatmischungen aus Hiphop und Acid ganze Fußballstadien in Wallung zu bringen, mixen Junior Senior die Attitüde von Hiphop mit Disco. Das ist ebenso bekömmlich, drückt aber ein bisschen weniger auf die Prolltube – und schafft es zusätzlich, mit harmlosen Texten über heiße Girls und Boys (und einem Gesangsbeitrag von Le Tigres Lesben-Ikone JD Samson) auch Homos explizit in die Party mit einzubinden. Das ist vielleicht nicht revolutionär, wird aber vom Restpop bis heute viel zu selten geleistet.

Junior Senior: „Hey Hey My My Yo Yo“ (Crunchy Frog/Cargo Records)

Im Chor über Dykes schreien

Molloys erstes Album wird in Deutschland nur digital veröffentlicht. Dies hat aber wohl weniger mit einem avantgardistischen Digi-Boheme-Konzept zu tun, als vielmehr mit der schieren ökonomischen Notwendigkeit, die kleinere Labels in der Zange hält. Das ehemalige Berliner Vorzeige-Label Kitty-Yo bringt nur noch online Musik heraus, beweist aber mit der Verpflichtung der Londoner Neulinge, dass man sich von diesem Umstand nicht einschränken lässt. Angeblich schrie das euphorisierte britische Publikum Molloy bei Auftritten entgegen: „This is fucking brilliant!“ – daher der Albumtitel.

Die drei Frauen und zwei Männer schwimmen enthusiastisch auf der immer noch erfolgreichen Dance-Punk-Welle mit. Sie mögen energetischen, im Chor geschrienen Punkpop, der seine Wurzeln in den späten 70ern und frühen 80ern hat. Bei Blondie, Kim Wilde und Duran Duran fühlen sich die bevorzugt in Grün und Orange gekleideten Kids genauso zu Hause wie bei CSS, Le Tigre und Peaches, obwohl ihnen im Vergleich vielleicht noch der ultimative musikalische und sprachliche Biss fehlt. Aber mit Lyrics über Faggots, Dykes, Faghags und Drag Queens wird das noch – auf ihrer Myspace-Seite nennen sie schon „Hairspray“ als Lieblingsfilm, und der ist schließlich von Genderbender John Waters.

Molloy: „This Is Fucking Brilliant“ (Kitty-Yo Digital; nur Download!)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen